2013/11/20 OLG: Funkzellendaten - Kein Selbstbedienungsladen für Polizei und Staatsanwälte MMag. Michael Krenn
Zwei Staatsanwaltschaften beantragten „Funkzellendaten“ - alle zeitraumbezogenen Telefonverbindungen im Bereich einer bestimmten Sendestation - unter Berufung auf Bestimmungen der Vorratsdatenspeicherung, was zwei Erstgerichte prompt bewilligten - die zuständgen Oberlandesgerichte stimmten der Überwachungsmaßnahme nicht zu und erteilten dem Vorgehen eine Absage
Während der VfGH die Vorratsdatenspeicherung im Zuge eines Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH zur Prüfung vorgelegt hat, zeigen zwei aktuelle Fälle, welche Folgen die Vorratsdatenspeicherung mit sich bringen kann.
Anlassfall ungeklärte Einbruchdiebstähle
Bei der Staatsanwaltschaft Wels war ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter wegen wiederholt verübter Einbruchsdiebstähle anhängig. Bünde von Kupferkabeln und Kabelrollen waren nachts aus einem Firmengelände entwendet und danach abtransportiert worden. Die Spurenauswertung kam zu dem Schluss, dass die Täter arbeitsteilig vorgegangen seien. Erst würde das gesamte Diebesgut bereitgestellt, und dann mit dem Auto abgeholt. Somit müssten die Täter mobil kommuniziert und sich im angegebenen Zeitraum in den für den Tatort zuständigen Funkzellen eingeloggt haben.
Funkzellenauswertung von Vorratsdaten beantragt
Die Landespolizeidirektion OÖ regte zunächst die Erteilung einer Datenauskunft im Zeitraum der vermuteten Nachrichtenübermittlung über Verkehrsdaten einschließlich der Bekanntgabe der Stammdaten, der IMSI-Nummer (Nummer zur eindeutigen Identifizierung von Netzteilnehmern in GSM- und UMTS-Mobilfunknetzen) und der Teilnehmernummer des durch die IMEI-Nummer (IMEI-International Mobile Equipment Identity) gekennzeichneten Endgeräts an. Zusätzlich beantragte die Staatsanwaltschaft Wels Auskunft über die Daten der Nachrichtenübermittlung gemäß § 135 Abs 2 Z 3 StPO - als der Auskunft über Vorratsdaten - in Form einer Funkzellenauswertung beim Erstgericht, was dieses prompt bewilligte.
Erstgericht rechtfertigt allgemeine Abfragen zur Sendestation
Das Erstgericht rechtfertigte die Überwachungsmaßnahme zur Aufklärung der inkriminierten, vorsätzlich begangenen mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Straftat als verhältnismäßig. Es werde nur ein sehr eng begrenzter Zeitraum überwacht um festzustellen, welche Rufnummern im angeführten Zeitraum im Bereich des Senderstandortes benützt worden seien, somit auch die von den unbekannten Beschuldigten benützten Mobiltelefonnummern. Nach Ermittlung dieser Rufnummern könne durch weitere rückwirkende Telefonüberwachungsmaßnahmen (Vorratsdatenerfassungen der Rufdaten und Standorte bzw. Stammdatenanfragen) die Identität der verdächtigen Personen, deren Kontakte zu Dritten bzw. deren Standorte ausgeforscht werden, was der Aufklärung der gegenständlichen Strafsache diene.
OLG Linz: Definition des Endgeräts Voraussetzung für Abfrage
Gegen den Beschluss des Erstgerichts erging Beschwerde des Rechtsschutzbeauftragten, welcher durch das OLG Linz Folge gegeben wurde (OLG Linz 9Bs108/13s 26.04.2013).
Auskunft über Vorratsdaten, sowohl die Inhaltsüberwachung als auch die Erhebung von Vermittlungsdaten des Kommunikationsvorganges wie auch die Ermittlung von Standortdaten beim Mobiltelefon seien immer an Art 8 EMRK, dem Recht auf Privatsphäre zu messen. Das bedeute, dass diese Maßnahmen nicht nur gesetzlich vorgesehen, sondern im jeweiligen Einzelfall verhältnismäßig und notwendig sein müssten.
§ 138 Abs 1 Z 3 StPO sei keine gesetzliche Bestimmung für die Überwachung einer Funkzelle bzw. Sendestation selbst, so das OLG. Die Abfrage von Vorratsdaten verlange immer Angaben zur technischen Einrichtung und zum Endgerät bzw. zur Telekommunikationsendeinrichtung. Das Gesetz verlange diese Angaben in der Bewilligung und Anordnung, an die aus technischer Sicht eine Überwachung anknüpfen kann. Dazu müsse diese Einrichtung freilich eindeutig identifiziert werden können.
Beim Mobiltelefon erscheine es sachgerecht, die Einheit bestehend aus dem Telefongerät und der SIM-Karte als technische Einrichtung für eine Kommunikation anzusehen. Diese Sichtweise führe dazu, dass sowohl die Rufnummer als auch die IMEI- und die IMSI-Nummer in dem Moment des Gesprächs die technische Einrichtung als Ziel oder Ursprung einer Kommunikation kennzeichnen und daher zur Bezeichnung der technischen Einrichtung und des Endgeräts iSd § 138 Abs 1 Z 3 herangezogen werden.
Eine gesetzliche Bestimmung für die Überwachung einer Funkzelle bzw. Sendestation selbst, um - als Vorfrage - allenfalls ein auf einen Beschuldigten hinweisendes Ergebnis in Form einer diesem zuordenbaren Einrichtung zu erlangen, finde sich nicht.
OLG Innsbruck: Funkzellenüberwachung überschießend
Ähnlich sah auch das OLG Innsbruck eine annähernd idente Fallkonstellation (OLG Innsbruck 11Bs150/13s 14.06.2013). Auch hier war ein Einbruchsdiebstahl von Metallteilen der Anlass - die Staatsanwaltschaft Innsbruck stellte einen gleichartigen Antrag wie die Linzer Kollegen. Noch vor der Entscheidung über diesen Antrag ergaben sich aber konkrete Tatverdachtsmomente gegen bestimmte Personen, dies aufgrund einer späteren Kontrolle von vier Personen in der Nähe des Tatortes, der Übereinstimmung einer gesicherten Schuhabdruckspur und der Information, dass diese Personen Kupfer zum Verkauf angeboten hätten.
Das OLG Innsbruck zum Sachverhalt: Das Gesetz verlange die Angabe der Einrichtung in der Bewilligung und Anordnung einer Bekanntgabe von Vorratsdaten, an die aus technischer Sicht eine Überwachung im weiteren Sinn anknüpfen kann. Dazu müsse diese Einrichtung freilich eindeutig identifiziert werden können. Eine Auskunft über Vorratsdaten könne nicht an einer Sendestation anknüpfen, da dort eben nichts gespeichert werde. Eine Abfrage habe daher an ein konkretes Endgerät anzuknüpfen.
Resümee
Die Entscheidungen sind aus datenschutzrechtlicher Sicht zu begrüßen, bedenklich ist jedoch, dass es überhaupt so weit kommt, dass ein Gericht derartige Anträge in erster Instanz bewilligt.
Von der sehr klaren Rechtslage abgesehen, ist auch zu bedenken, welche Folgen die Genehmigung dieser Anträge hätte: Es müssten völlig unbeteiligte Personen, welche sich gerade zufällig im Bereich der Funkzelle befunden hatten, mit entsprechenden Ermittlungsschritten rechnen. Dass es sich bei den beiden Anlassfällen aufgrund von Lage und Tatzeit vielleicht um eine beschränkte Zahl handelt, vermag dabei nicht zu beruhigen. Das Fenster für völlig überschießende Überwachungsmaßnahmen wäre geöffnet: Was ist zum Beispiel mit Banküberfällen in einer belebten Innenstadt?
Derartige Anlassfälle zeigen das prinzipielle Problem der Vorratsdatenspeicherung: Statt konkreter Ermittlungsarbeit wird ein Kreis „prinzipiell Verdächtiger“ geschaffen, die sich im Zuge polizeilicher Arbeit dann „freibeweisen“ müssen obgleich sie mit den Straftaten zum überwiegenden Anteil nichts zu tun haben. An Stelle der Unschuldsvermutung tritt dann ein Generalverdacht - der Wert gegenteiliger Zusicherungen der Verantwortlichen lässt sich am Beispiel dieser Fälle
ersehen.
Funkzellen als Bereich einer Sendeeinrichtung
Die Grundlage der mobilen Kommunikation ist ein wabenförmiges Netz von sogenannten Zellen. In jeder Zelle sorgt eine Basisstation mittels Funkübertragung für die Verbindung zu den Mobiltelefonen. Die Basisstation besteht aus der Mobilfunksende- und Empfangsanlage samt Antenne und der Steuer- und Versorgungseinheit, welche die Stromversorgung, Lüftung, Netzanbindung, Klima- und Alarmanlage beinhaltet. Üblicherweise ist sie an einem Antennentragemast oder Gebäude montiert. Basisstationen sind entweder über herkömmliche Telefonleitungen oder mittels Richtfunk mit einer Zentrale verbunden. Die Zentrale leitet die Gespräche an jene Basisstation weiter, in deren Zelle sich das jeweilige Mobiltelefon befindet. Entfernt sich ein Mobiltelefon aus einer Zelle, wird die Verbindung automatisch von der Zentrale an die nächste Basisstation weitergegeben. Eine Funkzelle ist sohin - einfach gesagt- der Bereich, in dem das von einer Sendeeinrichtung eines Mobilfunknetzes gesendete Signal empfangen und fehlerfrei decodiert werden kann. Anbieter von Mobilfunknetzen haben Aufzeichnungen über den geografischen Standort der zum Betrieb ihres Dienstes eingesetzten Funkzellen zu führen, sodass jederzeit die richtige Zuordnung einer Standortkennung (Cell-ID) zum geografischen Standort unter Angabe von Geo-Koordinaten gewährleistet ist.
mehr --> ARGE DATEN Beiträge zur Vorratsdatenspeicherung andere --> RIS: OLG Linz 26.04.2013, 9Bs108/13s andere --> RIS: OLG Innsbruck 14.06.2013, 11Bs150/13s
|