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Showdown im größten Justizdatenskandal der zweiten Republik
14 Angeklagte - 200.000 Geschädigte - mehr als 325.000 Euro Schmiergeld - 2,3 Millionen Gewinn - am 8. Oktober startet der Strafprozess um die Missbrauch von Exekutionsdaten - ARGE DATEN kritisierte jahrelang Justizdatenmissbrauch - Regelung für Wirtschaftsauskunftsdienste überfällig - Nationalrat und Bundesministerien bleiben untätig - Amtshaftungsklage gegen Republik möglich

Über acht Jahre hinweg soll der Hauptangeklagte im Prozess um den größten Datenskandal der zweiten Republik, dreizehn mitangeklagte Beamte  „angestiftet“ und bezahlt haben, systematisch Daten aus Justizdatenbeständen beiseite zu schaffen. „Ich war jung und brauchte das Geld“ lautet zum Teil die Rechtfertigung der mit dem Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt (§ 302 Strafgesetzbuch - StGB) bzw. Verletzung des Amtsgeheimnisses (§ 310 StGB) konfrontierten Beamten.

Der ARGE DATEN liegt die Anklageschrift vor. Dieser zufolge soll der "fleißigste" Datenlieferant, in weniger als 4 Jahren, mehr als 130.000,- Euro an "Honorar" erhalten haben. Mit dem Verkauf der Daten soll der Hauptangeklagte insgesamt knapp 4 Millionen Euro Netto erwirtschaftet haben.

Ab 8. Oktober müssen sich die vierzehn Angeklagten vor dem Landesgericht für Strafsachen in Wien für den Missbrauch der Daten von geschätzten 200.000 Personen verantworten - ihnen drohen bis zu fünf Jahre Haft.

Start der Hauptverhandlung: 8. Oktober 10:00
Landesgericht für Strafsachen Wien, Großer Schwurgerichtssaal
Eingang: 1080 Wien, Wickenburggasse 22


Hintergrund des Justizdatenmissbrauchs

Seit 2003 berichtete die ARGE DATEN über die zweifelhafte Vorgehensweise eines Wirtschaftsauskunftsdienstes vertrauliche Exekutionsdaten zur Bonitätsbeurteilung heranzuziehen. Diese Daten sind nur einem sehr kleinen Kreis an Personen, den beteiligten Parteien oder Justizbediensteten zugänglich.

Ab 2004 informierte die ARGE DATEN die Datenschutzkommission, die Staatsanwaltschaft Wien und die damalige Justizministerin über die rechtswidrigen Vorgänge im Justizministerium. Gefunden haben die "IT-Experten" von BMJ, Staatsanwaltschaft und der DSK nichts.

Das Ersuchen der ARGE DATEN, die rechtmäßige Verwendung der Exekutionsdaten zu sichern, wurde vom Justizministerium mit der Aussage quittiert, dass kein Verdacht auf missbräuchliche Abfragen bestehe und Exekutionsdaten auch auf anderem Weg in Umlauf gekommen sein könnten (http://ftp.freenet.at/mar/brief-berger-2007.pdf).

Erst 3 Jahre und viele Anzeigen später wurden 2010 Ermittlungen gegen den Wirtschaftauskunftsdienst durchgeführt, die schließlich zur Verhaftung des Betreibers und der Anklage von 13 Beamten geführt haben.

Parallel hat die ARGE DATEN zahlreiche ihrer Mitglieder bei der Löschung Ihrer Daten unterstützt, regelmäßig stellten die Gerichte fest, dass die Herkunft der Daten nicht nachvollziehbar ist. In einigen Fällen wurde sogar Schadenersatz wegen der prangerartigen Verbreitung von rechtswidrigen Daten erkämpft.


Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens

Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zeigte sich das gesamte Ausmaß des Skandals. Seit Anfang 2002 soll der Inhaber des Wirtschaftsauskunftsdienstes (Hauptangeklagter) Justizbedienstete für die Übermittlung von Exekutionsdaten bezahlt haben. Erst die Festnahme des Hauptangeklagten 2010 beendete das Treiben.

Neben dem Inhaber des Wirtschaftsauskunftsdienstes müssen sich nun 13 ehemalige Justizbedienstete wegen Missbrauch der Amtsgewalt bzw. Verletzung des Amtsgeheimnisses verantworten.

Die Aussage des Justizministeriums aus dem Jahr 2007 wonach keine Anomalien festgestellt werden konnten, wurde im Ermittlungsverfahren widerlegt. Durch Auswertungen vorhandener Log-Dateien wurde festgestellt, dass seit 2002 systematisch Daten rechtswidrig abgefragt wurden.

Die Justizbediensteten sind auf Anweisung des Wirtschaftsauskunftsdienstes systematisch vorgegangen. Auf dessen Ersuchen wurden sämtliche bei einem bestimmten Gericht anhängige Exekutionsverfahren abgefragt und ausgedruckt.

Anschließend wurden die A4-Ausdrucke auf denen sich bis zu 25-Datensätze befanden an den Wirtschaftsauskunftsdienst übermittelt. Dort wurden die Datensätze von Angestellten des Wirtschaftsauskunftsdienstes („Schreibern“) abgetippt und  weiterverkauft.

Der fleißigste Justizbedienstete ("Melder") übermittelte zwischen Februar 2007 und Oktober 2010 knapp 87.000 A4-Seiten. Aufgetürmt ergibt das einen Papierstapel von mehr als 8,5 m. Dieser Fleiß soll mit Zahlungen einer Gesamtsumme von mehr als 130.000,- Euro belohnt worden sein.

Insgesamt wird geschätzt, dass Daten von 200.000 Betroffenen von Justizbediensteten an den Wirtschaftsauskunftsdienst verkauft wurden. Die Schätzungen der ARGE DATEN liegen jedoch weit darüber, bis zu 700.000 Menschen können Geschädigte sein.

Pro übermittelter A4-Seite mit je 25 Datensätzen erhielten die "Melder" zwischen 1,- und 1,5 Euro. Insgesamt sollen mehr als 325.000 Euro "Honorare" per Überweisung oder Scheck an die angeklagten Justizbediensteten geflossen sein.

Der Hauptangeklagte soll mit dem Verkauf der illegalen Daten knapp 4 Millionen Euro erwirtschaftet haben. Nach Abzug der Kosten für Schmiergeld und dem Gehalt für seine „Schreiber“ soll ihm ein Gewinn von mindestens 2,3 Millionen Euro übrig geblieben sein.

Alle Zahlungen sind in der Buchhaltung des Hauptangeklagten penibel dokumentiert, dem offenbar jedes Unrechtsbewusstsein fehlte. Wie viel Geld der „Exklusiv-Kunde“ des Hauptangeklagten - ein anderer Wirtschaftsauskunftsdienst - mit dem Weiterverkauf der Daten verdient hat, geht nicht aus den Ermittlungen hervor.

Dass bei der Hausdurchsuchung des Hauptangeklagten auch „kinderpornografisches“ Material sichergestellt wurde, geht aufgrund des Ausmaßes des Datenskandals fast in der Anklageschrift unter. Dabei soll der Hauptangeklagte auch pornographische Darstellungen unmündiger Minderjähriger besessen und verbreitet haben. Dieses Delikt wird jedoch angesichts der geringeren Strafdrohung nicht weiter verfolgt.


Nationalrat weiterhin säumig
Qualitätsstandards für Wirtschaftsauskunftsdienste dringend notwendig

Der Anklage zufolge wussten die Justizbediensteten, die Daten an den Wirtschaftsauskunftsdienst übermittelten, dass diese Daten in vielen Fällen überhaupt keinen Rückschluss auf die Kreditwürdigkeit oder die Bonität der betroffenen Personen ermöglichen.

Dem Hauptangeklagten interessierte auch nicht die tatsächliche Bonität der Menschen. Er soll nur an möglichst vielen verkaufbaren Personen- und Firmendaten interessiert gewesen sein.

Die ARGE DATEN fordert seit Jahren gesetzliche Bestimmungen, dass nur aktuelle und aussagekräftige Daten zur Bonitätsbewertung herangezogen werden dürfen. Dem uferlosen Scoring, bei dem selbst die Wohnanschrift zur Beurteilung der Zahlungsfähigkeit herangezogen wird, muss eine klare Absage erteilt werden.

Schon 2010 hatten die Abgeordneten Maier (SP) und Donnerbauer (VP) in einer Entschließung (http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/UEA/UEA_00405/index....) eine gesetzliche Regelung bis Ende 2010 gefordert. Passiert ist genau nichts, weder Bundeskanzleramt, noch Justiz-, Konsumentenschutz- oder Wirtschaftsministerium fühlen sich für ordentliche Wirtschaftsauskunftsdienste zuständig.


Wirtschaftsstandort Österreich geschädigt

Neben den Personen, deren Daten rechtswidrig verkauft wurden, sind auch die Kunden des Wirtschaftsauskunftsdienstes als Geschädigte anzusehen. Nicht nur, dass sie für Schrott-Daten viel Geld bezahlt haben, sind ihnen zahllose Geschäfte mit eigentlich zahlungsfähigen Kunden entgangen.

Alle Unternehmen, die auf diese Schrottdaten bei ihren Bonitätsbeurteilungen vertraut haben könnten sowohl ihre Kosten und Schäden bei den Angeklagten, als auch bei der Republik Österreich geltend machen. Österreich hat es jahrelang sträflich vernachlässigt diesen Datenskandal abzustellen.


Wichtiger Meilenstein der ARGE DATEN - Aktion Stercus

Das Strafverfahren stellt einen wichtigen Meilenstein der 2007 gestarteten ARGE DATEN - Aktion Stercus (Ausmisten) dar. Bis zu seiner Festnahme soll der Hauptangeklagte rechtswidrige, fehlerhafte Daten gehortet haben. Dieser „Saustall“ wird jetzt ausgemistet und dicht gemacht. Das Ende der Aktion Stercus ist dies aber noch lange nicht. Die ARGE DATEN wird sich auch weiterhin für gesetzliche Regelungen zur Datenqualität bei Auskunftsdiensten einsetzen.

Es handelt sich um eine Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren, für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.


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