2010/03/03 Karlsruhe-Entscheidung - Rückkehr zu verfassungsrechtlicher Normalität? Hans G. Zeger
Die Ablehnung der Karlsruher Verfassungsrichter einer flächendeckenden und verdachtsunabhängigen Erfassung von Kommunikations- und Internetdaten war zu erwarten und völlig logisch - Österreichs Politiker sind jedoch noch immer nicht zu einer klaren grundrechtskonformen Linie bereit
Bei nüchterner Betrachtung war kein anderes Urteil als die Aufhebung der deutschen Vorratsspeicherungsgesetze möglich. Eingriffe in die Grundrechte müssen geeignet, erforderlich und angemessen sein. Keines dieser Kriterien erfüllt die Vorratsspeicherung. Zahllos sind die Umgehungsmöglichkeiten und Ausnahmen. Ausspähbar sind vielleicht Kleinkriminelle, unerwünschtes gesellschaftskritisches Verhalten oder schlicht Mitläufer. Im Terrorfall müssten Millarden Datensätze, verstreut auf tausende Bestände nach verdächtigen Mustern durchforscht werden. Es gibt dazu keinerlei geeignete Instrumente, für operative Kriminalisten eine Horrorvorstellung, die sie nur von sinnvoller Ermittlungsarbeit abhält. Die Aufzeichnung ist auch nicht erforderlich, schon jetzt hat die Justiz zahllose Instrumente um Verdächtige abzuhören, ihre Kommunikation aufzuzeichnen oder zu analysieren. Aber eben nur Verdächtige. Und die Maßnahme ist überschießend und unangemessen. Sie stellt alle Bürger in den Pauschalverdacht Staatsfeinde zu sein.
Die Vorrats-Richtlinie der EU wurde 2006 aus einem paranoiden und populistischen Aktionismus heraus verabschiedet und sollte Handlungsfähigkeit der Politik angesichts extrem wachsender sozialer Spannungen signalisieren. Herausgekommen ist die Lähmung der Gesellschaft, das Verzetteln in Pseudoaktivitäten.
Bedenklich ist, dass es überhaupt diskussionswürdig ist, ob eine präventive und voraussetzungslose Beschränkung von Grundrechten mit europäischen Werten vereinbar ist. Und sofort nach dem Karlsruher Urteil kriechen die Populisten aus ihren Verstecken. Dann muss man halt das Gesetz neu formulieren und versuchen mit der Scheindebatte über Plazebos zu Terrorbekämpfung von den großen europäischen Problemen abzulenken.
Für den Kampf gegen den Terrorismus müsse man schon ein Grundrecht opfern, tönt es von den bürokratischen Verschwörungstheoretikern. Wo bleibt dieser Ruf im Kampf gegen den täglichen Hungertod von 5.000 Kindern? Ein geradezu lächerlich geringfügiger Eingriff in das Grundrecht Eigentum würde das Problem sofort und für alle Zeiten lösen. Dieses Grundrecht wird aber absolut gesetzt.
"Unsere Bürger sind keine Objekte", formulierte die neue Justizkommissarin. Beginnt mit Viviane Reding und der Karlsruher Entscheidung eine Rückbesinnung auf jene Kräfte, die Europa stark und erfolgreich machten, auf Freiheit, soziale Sicherheit und Gemeinschaftssinn? Vielleicht in der EU, vielleicht in Deutschland. In Österreich leider nicht. Hier signalisieren großkoalitionäre Politiker den unbeirrten Willen Grundrechte abzuschaffen und die Vorratsspeicherung einzusetzen.
Bürger sollen weiterhin Stellungnahme abgeben
Auch wenn das offizielle Begutachtungsverfahren schon abgeschlossen ist, macht es weiterhin Sinn gegen die Vorratsspeicherung Stellung zu beziehen. Noch nie hat ein Gesetz derartig viele, meist negative Stellungnahmen hervorgerufen, wie dieser geplante Eingriff in die Kommunikationsrechte. Wies geht hat die ARGE DATEN einfach beschrieben (http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGED...).
Vorratsdatenrichtlinie muss erneut auf europäische Agenda
Nach der Aufhebung der nationalen Bestimmungen in Deutschland, Bulgarien und Rumänien gehört die Richtlinie zur Vorratsspeicherung wieder auf die politische Agenda in der EU, im europäischen Parlament, vor die europäische Kommission und durch den Minsterrat. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit sollte sie auf die Tagesordnung. Hier könnte Österreich Engagement Vorbildwirkung entfalten. Und nicht beim unbeirrten Festhalten an der österreichischen Umsetzung, wie es die sozialistische Verkehrsministerin Bures androhte.
mehr --> EU-Infoseite zur Vorratsdatenspeicherung 2006/24/EG
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