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2011/02/11 Darf der Nachbar gezielt beobachten und Gespräche mithören?
MMag. Micheal Krenn; Stand: 11.02.2011
Bislang waren vor allem Streitigkeiten hinsichtlich der Überwachung mittels Videokameras und sonstigen technischen Geräten Gegenstand von zivilrechtlichen Streitverfahren im Nachbarschaftsbereich. Die Frage ob „simples Beobachten“ des Nachbarn ohne Einsatz technischer Mittel die Privatsphäre so verletzen kann, dass es eine Unterlassungsklage rechtfertigt, beschäftigte den OGH (7Ob248/09k).

Belästigung durch ständige Beobachtung

Die Kläger, deren Reihenhaus an das der Beklagten angrenzt, fühlten sich durch die  Beklagte - in völlig unnatürlicher und dem normalen Gebrauch nicht entsprechender Weise - ausspioniert, belauscht und  beobachtet. Die Beklagte steige regelmäßig auf den Klodeckel um die Kläger von ihrem Toilettenfester aus zu beobachten. Dadurch sei es auch für die Kläger möglich zu sehen, dass die Beklagte lausche. Sie tätige dabei nicht nur für die Kläger, sondern auch für Besucher hörbare Äußerungen zu wie: „Im Sommer kann ich die Nachbarn wieder ausspionieren und belästigen". Das Verhalten der Beklagten, welches bereits gesundheitliche Konsequenzen habe, verstoße sowohl gegen § 16 ABGB zum Schutze der Privatsphäre als auch gegen § 107a StGB, die Anti- Stalking- Bestimmung. Auf dieser Basis beantragten die Kläger die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte.

Zufälliges Ansehen oder gezielte Beobachtung?

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass das von den Klägern behauptete Verhalten der Beklagten nicht von § 107a StGB erfasst sei, da sie die Nähe der Kläger nicht aufsuche, sondern von ihrer eigenen Wohnung aus beobachte. Der Kernbereich der Privatsphäre sei zwar nicht auf die eigenen vier Wände beschränkt, sondern beziehe sich auch auf den Garten oder eine Terrasse. Das Ausforschen privater Lebensumstände, das Belauschen eines Gesprächs oder das Beobachten intimer Szenen könnten einen Eingriff in die Privatsphäre darstellen. Das Beobachten von einem nicht näher angegebenen gewöhnlichen Verhalten, von Gesprächen, Grillabenden oder Rauchen auf einer Terrasse sei hingegen kein Eingriff in die Privatsphäre. Eine sich oftmals wiederholende „zufällige" Kontaktaufnahme könne nur dann einen Eingriff in die Privatsphäre darstellen, wenn sie zum Beispiel dazu benutzt werde, um die Betroffenen anzuschreien, zu beschimpfen und zu bedrohen. Dies sei jedoch von den Klägern nicht behauptet worden.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts. Der Schutz der Privatsphäre könne auch verletzt sein, wenn der Straftatbestand des § 107a StGB nicht verwirklicht sei. Zur Privatsphäre zählten die Intimsphäre eines Menschen, seine spezifischen Interessen, Neigungen und Gewohnheiten, die Ausdruck seiner Persönlichkeit seien. Kennzeichnend für das Privatleben sei die Nichtöffentlichkeit. Zum Bereich der Privatsphäre gehörten zwar auch der eigene Garten oder eine Terrasse, doch sei ein Eingriff in die Privatsphäre der Kläger nicht allein dadurch zu erkennen, dass die Beklagte aus ihrem eigenen Wohnbereich heraus einen Wohn- oder Gartenbereich der Kläger einzusehen vermöge und davon auch - offenbar intensiv - Gebrauch mache. Mit dem Gebrauch der eigenen Liegenschaft sei es untrennbar verbunden, dass durch Fenster nach außen geblickt werde, wobei die Liegenschaft der Kläger durch die räumliche Lage bedingt geradezu „zwangsläufig" in das Blickfeld der Beklagten gerate.


OGH: Auch „reines Beobachten“ stört Privatsphäre

Der OGH teilte die Auffassung der Vorinstanzen nicht. Unter Berufung auf die Entscheidung 6 Ob 6/06k, welcher zu Grunde lag , dass mittels Kameraattrappe ein Teil eines Hauses erfasst wurde, leitet der OGH den allgemeinen Grundsatz ab, dass durch das Vermitteln des Gefühls des potentiell möglichen ständigen Überwachtseins in die Privatsphäre eingegriffen wird.

Das beiläufige absichtslose und auch neugierige Hinaussehen aus den Fenstern des eigenen Hauses, in ein Nachbargrundstück stelle keinen Eingriff in die Privatsphäre dar solange es sich im Rahmen des „Üblichen" bewege. Dies habe aber seine Grenze bei der Intensität, durch die sich im konkreten Einzelfall ein durchschnittlich empfindender Nachbar dauernd beobachtet und verfolgt fühlen würde.

Nach dem Vorbringen der Kläger gehe es nicht um „zufälliges" und „absichtsloses" aus dem Fenster schauen, sondern um ein ungewöhnliches Verhalten, das den Klägern das Gefühl der ständigen Überwachung gebe und das in die Privatsphäre der Kläger eingreife. Sollte die Beklagte durch ihr Verhalten den Klägern das Gefühl des dauernden Beobachtetseins vermitteln, so stellt dies nach OGH  einen Eingriff in die Privatsphäre dar, auch wenn dabei keine technischen Hilfsmittel wie Kameras eingesetzt werden.

Anträge auf Einstweilige Verfügung sind exakt zu fassen

Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wurde aus einem anderen Grund abgewiesen. Die Kläger hatten es damit bewenden lassen, bestimmte störende Verhaltensweisen der Beklagten anzuführen und zu behaupten, dass sie „beharrlich" gesetzt würden, ohne zu präzisieren, welches Verhalten von welchen Haus-/Liegenschaftsteilen in welchen Zeiträumen und in welcher Dauer gesetzt würde. Auch das gesetzte Unterlassungsbegehren sei zu unbestimmt gewesen; das konkrete inkriminierte Verhalten der Beklagten, das verboten werden sollte, wurde nicht bestimmt.

Resumee

Auch wenn der Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung im konkreten Falle aus formellen Gründen abgewiesen wurde, bringt die Entscheidung wichtige Grundsätze für den Schutz der Privatsphäre mit sich. Tenor: Nicht nur das systematische Aufzeichnen mit technischen Hilfsmitteln ist verpönt und durch § 16 ABGB geschützt, es reicht grundsätzlich auch schon ein rein physisches „Beobachten“, das über das gewöhnliche Maß hinausgeht, aus. Es muss auch gegen systematisches „Ausspionieren“ ohne technische Hilfsmittel eine gesetzliche Handhabe geben, da ansonsten der Beeinträchtigung der Privatsphäre Tür und Tor geöffnet wäre. Die Unterscheidung zwischen dem zufälligen Blick in den Nachbarsgarten, dem gelegentlichen gezielten „Hinschauen“ und dem verpönten „Ausspionieren“ ist allerdings eine Einzelfallentscheidung und wird in vielen Fällen eine reine Beweisfrage sein.


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