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2009/01/30 Grauslichkeiten2.0 - Europäischer Datenschutztag in Österreich
Veranstaltung im Bundeskanzleramt eröffnete deprimierende Datenschutzperspektive in Österreich - Staatssekretär Ostermayer nutzte Gedenktag zur Ankündigung neuer Grundrechtsgrauslichkeiten - sollte eigentlich "Tag der totalen staatlichen Kontrolle" genannt werden - Österreich auf den Weg zur Scoringgesellschaft

Datenschutzveranstaltung im Bundeskanzleramt

Anlässlich des jährlichen Europäischen Datenschutztages gab es am 30.1.09 im Bundeskanzleramt eine Gedenkstunde mit bekannten Gesichtern und eingefahrenen Positionen.

Einen starken Auftritt leistete sich Staatssekretär Ostermayer, der sich offenbar auf einer Veranstaltung zum "Tag der totalen staatlichen Kontrolle" wähnte. Er kündigte an, Videoüberwachung soll in Zukunft einfacher werden, die Vorratsdatenspeicherung ist rasch umzusetzen, die flächendeckende Verkehrsüberwachung inklusive Radarauswertung und verbesserter Section Control und die Onlinedurchsuchung privater Computer sollen endlich realisiert werden. Man müsse, so sein Resümee für Sicherheit halt Privatsphäre opfern.

Herr MR Wögerbauer, ÖVP, Vorsitzender des Datenschutzrates legte noch ein Schäuferl nach. eHealth, der elektronische Gesundheitsakt müsse umgesetzt werden und auf die eCard gehöre der Fingerabdruck. Dieser sei viel zuverlässiger als ein Foto und auch leichter zu prüfen. Eine Position, die bei den anwesenden beamteten "Datenschützern" Wohlwollen auslöste, niemand widersprach. Unerwähnt blieb, dass damit in Zukunft jede Arztordination für erkennungsdienstliche Erfassung umgerüstet werden muss, dass jedem Bürger in Zukunft Versicherungsbetrug unterstellt wird und er Kriminellen gleichgestellt wird. Dass alle flächendeckenden Fingerabdrucksysteme zwischen 1-5% Fehlerrate haben und somit eine geordnete Gesundheitsversorgung lahm legen würden, sei nur am Rande erwähnt.

Er forderte weiters, dass Grundrechte und Bürgerfreiheiten zugunsten einer sparsamen Verwaltung ("Verwaltungsökonomie") eingeschränkt werden müssen.

"Hunderttausende Datenverarbeiter arbeiten derzeit in Österreich ohne Genehmigung", beklagte Frau MR Kotschy, Mitglied der Datenschutzkommission. Statt die unkontrollierten Überwacher an die Kandare zu nehmen, kommt sie zum Schluss, sollte der jetztige Zustand der Unzahl ungeprüfter Datenverarbeitungen durch ein neues Datenschutzgesetz legalisiert werden.

Sie ging auch auf das für Bürger erfreuliche OGH-Urteil gegen die Wirtschaftsauskunftsdienste ein (die ARGE DATEN berichtete http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGED...). In Zukunft müssen diese Auskunftsdienste wie KSV1870 oder Deltavista Geschädigte aus ihren öffentlichen Listen streichen. Das, so die "Datenschützerin", werde nicht gehen, diese Löschungsmöglichkeit müsse per Gesetz abgestellt werden.


Schaar warnte vor Rundumüberwachung

Gewohnt kritische Worte fand der deutsche Datenschützer Schaar, er bezeichnete die in den letzten Jahren geschaffenen Überwachungsgesetze mehr als politisch (gemeint war offenbar populistisch) motiviert, als sachlich begründet.

Beim derzeitigen Überwachungswahn ist man an Schumpeters Wort erinnert, 100 Postkutschen machen noch keine Eisenbahn. Und hunderttausend Videokameras und Fingerabdruckleser noch kein sicheres Österreich, ist man versucht hinzuzufügen.

Ausdrücklich befürwortete er die EU-Initiative ePrivacy, nach der in Zukunft Betroffene bei Datenverlust oder Datenmissbrauch informiert werden müssen. Eine bloßstellung leichtsinniger Datenverarbeiter, die sie wohl in Zukunft vorsichtiger werden lässt.

Schaar kündigte an, dass in Deutschland ein Auditverfahren datenschutzfreundliche Lösungen auszeichnen wird, etwas, was in Österreich von ÖVP-Vertretern vehement abgelehnt wird. Weiters sollen Adressenverlage in Zukunft Daten nur mit Zustimmung der Betroffenen verwenden dürfen (Opt-In), statt der bisherigen Opt-Out-Lösung, wie sie in Österreich gilt.


Erstaunlicher Diskussionsbeitrag

Ein erstaunlicher Diskussionsbeitrag kam aus ungewohnter Ecke. FP-Abgeordneter FICHTENBAUER, forderte strenge Strafen für Datendiebe und verlangte eine Ächtung des Datenmissbrauchs ähnlich der Ächtung von Kinderarbeit. Sollte sich die FPÖ in Zukunft  von einer Rechtspartei zu einer Bürgerrechtspartei wandeln?


Trauerfeier für Grund- und Menschenrechte

Der europäische Datenschutztag wurde zum Anlass der Verabschiedung der Datenschutzkonvention des Europarates am 28.1.1981 ins leben gerufen. Nach nunmehr 28 Jahren "Datenschutz"-Erfahrung bietet sich ein deprimierendes Bild. Der Begriff "Datenschutz" wird in Österreich geradezu inflationär zur Absegnung immer neuer Bürgerkontrolle eingesetzt.

Das ursprüngliche Anliegen, Menschen vor uferlosen, unkontrollierten Datenansammlungen zu schützen, ist in Österreich völlig verloren gegangen. Niemand, der heute Individualität und Grundrechte schützen möchte, kann sich noch guten Gewissens "Datenschützer" nennen, die Gesellschaft in der er sich wiederfindet ist oft alzu dubios.

Beamtete Datenschützer unterliegen zunehmend dem populistischen Druck nach mehr Überwachung. Im Zusammenhang mit dem Müll-TV in den Wiener Gemeindebauten meinte, Frau Ministerialrat Kotschy, dass die Mehrheit der Bewohner diese Form der Überwachung begrüße. Dass internationale Studien bis hin zum Chef der Videoüberwachung von Scottland Yard längst festgestellt haben, dass Videoüberwachung mittel- und langfristig einen gegen Null gehenden realen Beitrag zur Sicherheit leisten, wird geflissentlich übersehen.

Folgt man der Logik, alles zu genehmigen, was populistisch gefordert und begrüßt wird, dann müsste der Gesetzgeber längst wieder die Todesstrafe einführen, Auspeitschung, Folter und Verstümmelungen wären bei bestimmten Delikten ebenso mehrheitsfähig, bis hin zur Lynchjustiz ("gerechter Volkszorn").


Vom Überwachungsstaat zur Scoringgesellschaft

Warum die Österreicher es hinnehmen sollen, als MENSCHEN immer stärker an den Rand gedrängt zu werden und nur als NUMMERN und DATENSÄTZE in ausuferndern Registern und Datenbanken beachtet zu werden, diese Frage wurde nicht einmal andiskutiert.

Österreich ist ein voll ausgebildeter Überwachungsstaat, unzählige Register und Evidenzen, die täglichen Forderungen von Politik und Bürokratie belegen dies. Der Weg zu einem Präventivstaat in dem jeder verdächtig ist, alles auf Vorrat aufzuzeichnen ist, wurde vehement befürwortet. Das Ende dieser Entwicklung, eine Scoringgesellschaft, in der jedes Verhalten bewertet wird, sodass am Ende nur mehr zwei Menschenklassen existieren, die VALIDs, mit gutem Scoring und die IN-VALIDs mit auffälligem Verhalten und schlechtem Scoring, ist absehbar. Die VALIDs erhalten raschen Zugang zum gesellschaftlichen Leben, bei Ihnen wird in Zukunft Kontrolle reduziert werden, die INVALIDs, die Verdächtigen werden vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben zunehmend ausgeschlossen, müssen sich Anhalten, Kontrollieren lassen, erhalten weder Bankkonto, Kredit oder Sozialhilfe.

Ein besonnenes und fachlich fundiertes Reagieren auf Ängste und Desorientierung in einer globalisierten Gesellschaft, wie es am Rande der Veranstaltung Teilnehmer forderten, ist in Österreich derzeit politisch nicht opportun. Auch der Datenschutzbeauftragte Schaar forderte ein Moratorium des Überwachungswahns und eine sachliche Analyse der Wirksamkeit. Ein Rufer, diesmal nicht aus der Wüste, sondern aus dem fernen und weltfremden Deutschland.

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