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2012/04/01 Vorratsdatenspeicherung - Willkommen im Präventivstaat!
Seit 1. April 2012 werden alle ÖsterreicherInnen präventiv verdächtigt - ihr Kommunikationsverhalten wird "auf Vorrat" gespeichert - Generalverdacht, Freibeweisen, Alibigesellschaft und Schleppnetzfahndung sind die neuen Vokabel einer Demokratur 2.0 - Unbescholtene Bürger im Visier, Gauner bleiben unbehelligt

Seit 1. April 2012 alle ÖsterreicherInnen präventiv verdächtigt

Seit 1. April wird über jedes Telefonat, jedes SMS, jedes eMail und jede Internetnutzung aufgezeichnet, wer mit wem Kontakt hat, wie lange, wie häufig und bei Mobiltelefonen von welcher Funkzelle aus.

"Ich hab nichts zu verbergen, soll der Staat doch wissen, bei wem ich die Pizza bestellt habe und dass ich den Pepi-Onkel aus dem Fußballstadion angerufen habe, damit kann er nichts anfangen", wird sich der unbescholtene Bürger denken.


Der unbescholtene Bürger im Schuldverdacht

Doch aus einem vermeintlich harmlosen Verhalten wird rasch ein Schuldverdacht, wenn der Anruf oder das eMail falsch interpretiert wird.

Szenario 1: Die Pizzabestellung

Sie bestellen regelmäßig eine Pizza beim Zustelldienst Fredo? Die Polizei stellt einige Monate später fest, dass der Pizzadienst Fredo möglicherweise auch am Drogenhandel beteiligt ist und darüber hinaus noch der Geldwäsche verdächtig ist (§ 27 Abs. 3 SMG iVm § 165 Abs. 1 StGB).

Ein Fall für die Vorratsdatenspeicherung. Schauen wir, wer aller Kontakt mit Fredo hatte und sie sind schon verdächtig. Können Sie sich sicher freibeweisen, dass Sie nur eine Pizza orderten oder doch vielleicht regelmäßig etwas Koks? Möglicherweise wird die Polizei bei ihren Nachbarn Ermittlungen starten ob sie den Pizzaboten gesehen hatten und ihnen verdächtiges aufgefallen ist. Meist werden Sie sich freibeweisen, doch der Ruf beim Nachbarn ist ramponiert.


Szenario 2: Das Fußballspiel

Sie schicken ihrem Pepi-Onkel ein SMS über den Spielstand. Am Fußballplatz kommt es zur Randale, etliche "Fans" haben eine elektronische Werbeanzeige beschädigt, der Verdacht auf Landfriedensbruch ist evident (§ 274 Abs. iVm § 126 Abs. 1 Z 7 StGB). Die meisten Randalierer sind vermummt, die Videoaufzeichnungen wertlos.

Vermutlich, argumentiert die Polizei, werden etliche Randalierer im Laufe des Spiels, davor oder danach telefoniert haben und über ihre "Heldentaten" berichtet haben. Also lässt die Polizei mit Hilfe der Vorratsdaten alle Telefonierer der Funkzelle, in dem das Stadion liegt ausheben. Sie lädt alle zur Befragung, was sie gesehen haben, ob sie beteiligt waren, wen sie identifizieren können. Sind Sie sicher, sich diesmal freibeweisen zu können, obwohl sie nur 10 m von der Randale entfernt waren? Und vielleicht aus früheren Jahren einschlägig amtsbekannt ist?


Szenario 3: Der nächtliche Spaziergang

Der Pelzhändler Schuster findet am nächsten Tag seine Auslagenscheibe zetrümmert vor. Schaden mehr als 5.000,- Euro, schwere Sachbeschädigung (§ 126 Abs. 1 Z 7 StGB), keine Zeugen, die Videoaufzeichnung ist wertlos. Wieder ein Fall für die Vorratsdatenspeicherung. Wer war in der letzten Nacht mit seinem Handy in der Nähe? Sie konnten die letzte Nacht nicht schlafen und waren gerade auf einem nächtlichen Spaziergang. Dabei haben Sie auch ein SMS weggeschickt. Wie werden Sie beweisen, dass sie nicht die Scheibe eingeschlagen haben? Ganz besonders wenn die Polizei herausfindet, dass sie in den letzten Monaten mehrfach per eMail kontakt mit verschiedenen Tierschutzeinrichtungen hatten? WIe glaubwürdig ist der spontane nächtliche Spaziergang?


Szenario 4: Die Mittagspause im Stadtpark

Sie arbeiten in der Nähe des Wiener Stadtparks, jetzt, wo es warm ist, verbringen Sie regelmäßig dort die Mittagspause und telefonieren mit verschiedenen Bekannten. Für die Polizei ist der Stadtpark eine Art Open-Air-Büro für Kleindrogendealer, die mittels Handy ihren Geschäften nachgehen (§ 27 Abs. 3 SMG). Ein klassischer Fall für die Vorratsdatenspeicherung. Routinemäßig werden also alle paar Monate jene ausgeforscht, die regelmäßig im Stadtpark telefonieren.

Sie werden vorgeladen und erklären in der Nähe zu arbeiten, die Polizei wird diese Angaben beim Arbeitgeber überprüfen. Vielleicht beim Arbeitgeber auch den Grund der Ermittlung angeben, "eine Drogensache". Wie auch immer, ihr Ruf beim Arbeitgeber ist ramponiert.


Szenario 5: Der Waldspaziergänger

Sie sind leidenschaftlicher Naturfreund und gehen gern im Wald spazieren. Aber Ihr Smartphone haben Sie immer dabei. Begeistert von der Landschaft schießen Sie ein Foto und schicken es per eMail Ihrem Freund. Blöd nur, dass in derselben Gegend nach gewerbsmäßigen Wilderern gesucht wird (§ 138 Z 1 bzw. Z 4). Ein typischer Fall für die Vorratsdatenspeicherung, denn auch Wilderer telefonieren manchmal. Werden Sie nach einigen Monaten noch beweisen können, bloß Fotos statt Gemsen geschossen zu haben? Auch dann, wenn sie ein bekannter Sportschütze sind.


Szenario 6: Der aufrechte Beamte

Ein Beamter eines Ministeriums will bei einer Zeitung mehr über einen Bericht wissen, er will auch einiges richtig stellen. Er schickt ein eMail an den Redakteur. Wenige Wochen später veröffentlicht die Zeitung ein Insiderpapier aus genau diesem Ministerium. Verdacht auf Amtsmissbrauch und Anstifung zum Amtsmissbrauch (§ 302 Abs. 1 iVm § 12 StGB). Nun wird die Ermittlungsbehörde nicht annehmen, dass die Dokumente von einer offiziellen Behörden-eMail verschickt wurden, so dumm ist nicht einmal die Polizei. Aber, wird sie argumentieren, vielleicht gab es vorbereitende Kontakte. Wieder ein klassischer Fall für die Vorratsdatenspeicherung, die letzten sechs Monate werden analysiert. Wird sich unser Beamte freibeweisen können? Nicht einmal Sie, geneigter Leser, werden ihm glauben.


Unbescholtene Bürger im Visier, Gauner bleiben unbehelligt

Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen, gemeinsam ist, dass unbescholtene Bürger zur falschen Zeit am falschen Ort waren, sich den falschen Geschäftspartner aussuchten. Die Vorratsdatenspeicherung ist eine beispiellose Kriminalisierung des Alltagslebens, wir geraten in eine Alibigesellschaft in der es ratsam ist, immer zu wissen was man die letzten sechs Monate getan hat.

Meist, aber nicht immer wird man sich freibeweisen können, oft werden jedoch Nachbarn, Arbeitgeber, Freunde oder Verwandete von den Ermittlungen erfahren und ein Restverdacht wird bleiben.

Gauner, die wissen, dass sie etwas zu verbergen haben, können sich vor den Aufzeichnungen der Vorratsdatenspeicherung leicht schützen. Sie verhalten sich konspirativ, meist werden sie keines der elektronischen Mittel verwenden, vielleicht auch nur Mehrwerthandys, öffentliche Internetzugänge oder eMail-Dienste im Ausland.

Der unbescholtene Bürger wird das alles nicht machen, für ihn ist es zu kompliziert mit mehreren Handynummern, eMail-Accounts usw. zu hantieren, er bleibt im Visier der permanenten Überwachung.


Was ist neu an dieser Demokratur 2.0?

Schon jetzt konnte die Polizei bei einem konkreten Verdacht eine Person observieren, ihre Telefondaten aufzeichnen oder ihre Gespräche belauschen. Aber eben erst nur NACH Vorliegen eines Verdachts.

Der Pizzabesteller, der Zuschauer, der nächtliche Spaziergänger oder der aufrechte Beamte konnten erst dann überwacht werden, wenn es Hinweise oder Zeugen gab, die sie mit einer konkreten Straftat in Verbindung brachten. Der Bürger konnte darauf vertrauen unbeobachtet zu leben, solange er nicht als Person konkret verdächtig war eine Straftat begangen, vorbereitet oder dazu angestiftet zu haben.

Kommunikationsüberwachung war der ZWEITE Schritt um Verdachtsmomente zu erhärten, um etwa einen Täter, der leugnete zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort gewesen zu sein, zu überführen.

Mit der Vorratsdatenspeicherung wird die Kommunikationsüberwachung zum ERSTEN Schritt von Ermittlungen. Es handelt sich nicht bloß um das Sammeln von noch mehr Daten, sondern es kommt zu einder fundamentalen Änderung im Verhältnis Bürger und Staat, die Bürger geraten zunehmend in einen Generalverdacht. Zuerst wird geschaut, wer aller könnte als Täter in Frage kommen, dann erst werden Beweise für oder gegen einzelne Personen gesammelt.

Analysen zeigten, dass bei derartigen Schleppnetzfahndungen auf einen Verdächtigen oft tausende Unbescholtene kommen, die das Pech hatten ein ähnliches Kommunikationsmuster zu haben.


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