2003/09/24 e-commerce - Licht am Ende des Tunnels? (Endfassung) Hans G. Zeger, Falter Handbuch Internet 2004
e-commerce fehlen definitiv die Killerapliaktionen - Handel und Dienstleistung selbst könnten die Träger einer Sucess-Story sein - die großen drei e-commerce - Plagen (Payment, Logistik und Security) warten noch auf praxisnahe Lösungen - Shopdifferenzierung hält an - die Zukunft liegt in Tiefenservices, die komplexe Konsumentenbedürfnisse befriedigen
DAS AUSBLEIBEN DER KILLERAPPLIKATION
Still ist es um öffentliche Äußerungen zum Thema e-commerce geworden. Daraus den Schluß zu ziehen, dass das Projekt selbst gestorben ist, wäre voreilig.
Im Zuge der kontinuierlichen Beobachtung der österreichischen e-commerce-Landschaft kommt erstaunliches zu Tage. Immerhin rund 4000 Betreiber plagen sich mit Shoplösungen herum, rund noch einmal soviele tragen sich mit dem Gedanken eines Online-Angebots. Diese Zahl entspricht etwa dem Stand von Jänner 2002. Daraus den Schluß zu ziehen, es gäbe eine Stagnation, ist verfehlt. Rund 30% der im Vorjahr aktiven Shops sind aus der Geschäftswelt wieder verschwunden, wengleich manchmal über Shop-Linklisten oder Google-Archive noch online reanimierbar. So findet sich im August 2003 ein Shop mit dem neuesten Osterangebot 'Ostern kommt schneller als Sie denken!' Ostern 2002 wohlgemerkt.
Was heißt hier EIN Shop, dutzende solcher Angebote finden sich Online. Selbst Museen und Tourismusbetriebe, die ansonsten penibel Wert auf aktuelle Drucksorten legen, bieten Eintrittspreise und Öffnungszeiten aus dem Jahr 2002 oder 2001 an. Wie soll ein potentieller Besucher darauf reagieren? Gibt es Shop oder Museum noch? Oder ist alles eigentlich schon geschlossen? Ist das Angebot einmalig und sensationell wird der verunsicherte Konsument zum Telefonhörer greifen - sofern eine aktuelle Telefonnummer angegeben ist. Meist wird er frustriert weiterklicken.
Auch der Betreiber einer bekannten österreichischen Schnäppchenplattform, die sich rühmt, nur Shops mit wirklichen Umsätzen Online zu haben, listen auf ihrer Händlersite rund 20% nicht mehr existierende Shops auf.
Womit ist diese e-commerce-Landschaft zu vergleichen? Was geht in Menschen vor, die ja als Unternehmer agieren, wenn Sie über Jahre Informationen über ihr Geschäft verbreiten, die schlicht und einfach falsch sind.
Menschen suchen Anknüpfungspunkte und Vorbilder. Deswegen sehen moderne PKWs, bei allem modischen Karroseriedesign - in ihrere Grundstruktur noch immer wie Pferdekutschen aus. Und in welchem Zeitalter ist e-commerce?
Epoche der Wanderhändler und Hausierer
Am ehesten ist diese Art des Online-Shoppings mit der Zeit der handelnden Vagabunden und Hausierer des Mittelalters zu vergleichen. Niemand erwartete sich von einem Angebot Wiederholbarkeit oder korrekte Produktbeschreibungen. Gekauft wurde was gefiel, hielt das Produkt nicht, was es versprach wurde der Händler, sollte er sich nochmals blicken lassen, mit nassen Fetzen und Pferdeknödel verjagt. Oder auch nicht, wenn nur genügend Zeit vergangen war.
Nasse Fetzen und Pferdeknödel funktionieren im Internet nicht, Onlineanbieter werden durch Nichtbeachtung bestraft, diese reagieren wiederum durch Pflegeverweigerung ihrer Seiten usw.
Mangelhafte Produkt- und Shopauszeichnung sind jedoch in der Onlinewelt immer noch allgegenwärtig. Bloss 24% von 4200 Shops bieten die wichtigsten e-commerce-Basisinformaitonen. Positiv formuliert könnte man aber auch sagen, bei 1000 Shops weiß man zumindest, unter welchen Konditionen man einkauft.
Ziel für 2004 sollte es sein, zumindest in die Epoche der niedergelassenen Nebenerwerbshändler zu kommen. Shopanbieter sollten zumindest ein ganzes Jahr über am gleichen Marktplatz (= dieselbe Webadresse) auffindbar sein und ihr Angebot sollte nicht weniger aktuell sein, als im realen Geschäft. Um dies zu unterstützen wird e-rating, zeitgerecht vor dem Weihnachtsgeschäft den e-commerce Guide ONLINE SHOPPING 2004 herausbringen.
Eine einmal in einem Buch gedruckte Adresse ist - so hofft der Autor - eine hohe Motivation, sie länger bereit zu halten.
Mittelfristig wird das nicht reichen. In Deutschland reifen hochkomplexe Shopplattformen heran, die nicht nur in der Rechtsbasis ordentlich geführt sind, sondern auch durch hohe Benutzerfreundlichkeit, günstige Einkaufsbedingungen und klare Rücktrittsbestimmungen punkten.
Hier dürfte das deutsche System der aussergerichtlichen, kostenpflichtigen Abmahnung einigen Anwälten hohe Renditen und manchen Shopbetreiberen bitteres Lehrgeld eingebracht haben.
Noch schützen hohe Zustellkosten österreichische Anbieter vor deutscher Konkurrenz. e-rating hatte bei 867 Shops die Zustellkosten erhoben. Während die österreichischen Shops durchschnittlich 2,38 EUR verrechnen (54% verlangen gar keine Zustellkosten), liegt der Schnitt bei Lieferungen deutscher Shops nach Österreich bei 6,65 EUR. Dies ist nicht nur auf größere Distanz oder allgemeine Abneigung gegen die 'Össis' zurückzuführen. Auch im innerdeutschen Warenverkehr liegt der Schnitt mit 3,69 EUR höher als der innerösterreichische Warenverkehr. Bei den heute beliebten Klein- und Probebestellungen unter 100 EUR verteuern sich die Waren somit um rund 4%.
Interessanterweise liefern österreichische Shops nach Deutschland mit durchschnittlich 3,18 EUR sogar billiger als die innerdeutschen. Dies ist jedoch nicht auf überlegene österreichische Logistik zurückzuführen, sondern schlicht auf die Tatsache, dass es viele Betreiber nicht wagen Zustellkosten zu verrechnen und diese lieber im Gesamtpreis verstecken.
HANDEL UND DIENSTLEISTUNGSGEWERBE GEFORDERT
Genug gejammert. Die goldenen Potentiale liegen auf der Hand.
Sind erst einmal die wichtigsten Bestellabläufe verstanden und elektronisch abgebildet, ist die Verknüpfung zur Warenlogistik und Buchhaltung geschafft, dann sind Online-Shops konkurrenzlos gegenüber dem klassischen Angebot.
Angebotsbreite, Informationstiefe und Präsentationsvielfalt können im Onlinebereich wesentlcih leichter realisiert werden. Auch das vielzitierte 'Eventshopping' oder 'Einkaufserlebniss' in den diversen Einkaufscenter relativiert sich, wenn Waren nicht mehr ausprobiert werden dürfen und bei vielen Produktanfragen man einen Katalog zum Studium in die Hand gedrückt bekommt.
Je weniger Waren klassische Shops auf Lager haben und nur 'gegen Bestellung' leifern können, desto schneller wird der frustrierte Realwelteinkäufer sich auf seinen bequemen Online-Leitstand zurückziehen und selbst 'bestellen'.
Je mehr klassische Shops Waren auf Lager haben, desto teurer wird der Gesamtbetrieb sein und den Konsumenten erst recht zum Onlinesopping treiben. Vielleicht wird er noch den Shoppingcentern seinen Besuch abstatten, vergleichbar einem Museum und bei einem Glas Frizzante die Neuerungen der Warenwelt auch haptisch erleben wollen, kaufen wird er dann zu Hause, Online und dort wo die wirklichen Schnäppchen zu Hause sind.
Nicht zu Unrecht hat Adorno die Kaufhäuser als 'Museen des kleinen Mannes' bezeichnet. Onlineshopping wird diese Utopie umsetzen.
Handelsunternehmen, die im Rahmen einer Zwei-Markenstrategie sowohl Offline, als auch Online anbieten, werden diesen Museumsbetrieb finanzieren können, alle anderen werden verschwinden (müssen).
Reduzierte Lagerkosten, erweiterte Informationsangebote, Umgehung von Zwischenhandelsketten, Ausschaltung der Ladenöffnungszeiten und flexiblere Einkaufsmöglichkeiten für den Shopbetreiber (Schlagwort Just-in-Time-Lieferung bis zum Konsumenten) stehen nur die - zugegeben - enormen Anlaufaufwändungen für Organisation, Strukturierung und Implementierung des Shop-Systems gegenüber. Nach Überwindung der Schwierigkeiten sollten sich diese Vorteile auch direkt beim Käufer durchschlagen, etwa durch bessere Preise, bessere Garantieleistungen, besseres Service und exakte Planung von Zustellung und Retournierung.
Warum existiert diese heile Online-Shoppingwelt (noch) nicht? Die Anlaufkosten allein können es nicht sein, sonst würden ja nicht 4000 Betreiber ihr Glück versuchen und 1-2000 neue pro Jahr.
Es sind dies drei Plagen. Entgegen dem biblischen Ägypten nur drei, nicht sieben, dafür suchen sie aber Shopbetreiber und Benutzer gleichzeitig heim.
PLAGE PAYMENT
Bei Finanztransaktionen sind die Österreicher konservativ. Einführungen wie Girokonto, Bankomatkarte oder Kreditkarte, zu ihrer Zeit jeweils NewPayment-Verfahren, dauerten Jahre bis Jahrzehnte und sind, siehe Kreditkarten, bis heute nicht abgeschlossen. Kann man in Island völlig selbstveständlich jedes Milchpakerl im Supermarkt mit Kreditkarte bezahlen, handelt man sich bei einem vergleichbarem Ansinnen in Österreich nur verständnislose Blicke ein. Bestenfalls.
Heute sind, neben Bargeld; Girokonto, Bankomatkarte und (beschränkt) Kreditkarte in Östrreich allgemein akzeptierte Zahlungshilfsmittel geworden. Der Konsument erwartet sich daher dieselben Instrumente Online einsetzen zu können, ohne zusätzliche Kosten. Online bedeutet das Lieferung auf Rechnung, per Kreditkarte oder gegen Bargeld (= Nachnahme). Die Bankomatkarte scheidet aus, da sie ein zusätzliches Lesegerät benötigen würde, das anzuschaffen sich nicht lohnt.
Diese Zahlungsformen haben für den Shopbetreiber den Nachteil, dass er gegenüber einem anonymen Besteller Waren herausgeben muss, bevor er sein Geld erhalten hat.
Wie reagieren die Shopbetreiber? Naheliegend und konsumenten- und e-comemrce-freundlich wäre es, die gewohnten Zahlungsformen auch anzubieten. Das passiert in einem erfreulich sehr großen Ausmaß. Bei 968 analysierten Shops liefern 56% per Nachnahme, 37% auf Rechnung und 39% bei Bekanntgabe einer Kreditkarte. Die Betreiber riskieren das eine oder andermal hereingelegt, sprich betrogen zu werden. Passiert es zu oft oder zu früh, ist das Onlinegeschäft für den hoffungsfrohen Newcomer schon wieder gestorben.
Wie reagieren Betreiber noch? Immerhin 38% verlangen Vorauszahlung und 19% führen Einziehungsaufträge durch. In den meisten Fällen handelt es sich um alternative Zahlungsmöglichkeiten, die oft durch einen geringen Preisnachlas (typisch 2%) versüsst werden. Dort wo nur Vorauskassa/Einziehungsauftrag angeboten werden, ist jedoch Vorsicht geboten. Allzuoft sieht man dann weder Ware noch Geld.
Wie wird noch reagiert? Durch eine mittlerweile schon absurde Zahl von NewPayment-Methoden. Elektronische Clearingstellen, mit und ohne Handy versuchen sich zwischen Anbieter und Benutzer zu schalten. Alle Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Einführung eines neuen Zahlunsgmittels 10 Jahre und länger dauert. Wer nicht diesen Atem hat, muss mit seinen Ideen zwangsläufig scheitern. Womit sich erklärt, warum NewPayment nicht abhebt. In der durchgeführten Analyse hatten gerade 9% der Betreiber eine derartige Zahlungsform im Angebot.
Tatsächlich ist die Plage Payment eine Plage der Anonymität. Per Mausclick können Shopbetreiber und Benutzer verschwinden, Ware und/oder Geld sind verloren. Der Ruf nach digitale Signaturen, Bürgerkarte, registrierte PC's und 'Internetführerschein' (kein Scherz) sind die schnellen Standardlösungen zur Überwindung des Anonymitätsproblems. Im übrigen alles Vorschläge, die dem Konsumenten einen kriminellen Hintergrund unterstellen.
Auch hier wären Anleihen aus dem realen Leben vorteilhaft. Wie funktioniert im realen Leben Identifizierung? Kaum ein NewPayment-Entwickler hat sich offenbar darüber Gedanken gemacht. Identifikation ist im realen Leben ein adaptiver Prozess, der abhängig von den Anforderungen und der Umgebung sehr unterschiedlich abläuft. Er beginnt von der Zufallsbekanntschaft ('vom sehen'), dem bloßen nennen eines Namens, über den Austausch von Visitenkarten, dem Herzeigen von Ausweisen bis zu biometrischen Kontrollen. Erst Ziele und Einsatzgebiet definieren Umfang und Genauigkeit des Identifikationsprozesses.
Online soll es anders sein? Niemand wird das akzeptieren. In vielen Fällen will ein Betreiber ja nur wissen, ob ein Besteller überhaupt existiert, die Ware würde er dann schon 'auf Rechnung' liefern.
Banken hätten hier die Chance, sich als Treuhänder zu profilieren. Kommt eine Bestellung herein, kann sich der Betreiber bei der angegebenen Bank vergewissern, dass die Person dort tatsächlich ein Konto hat und somit existiert. Weder die Kontonummer ist notwendig, noch der Zugriff aufs Konto oder die Vorauszahlung, wie beim electronic payment standard (eps). Es sind auch keine komplexen Abfrage- und Sicherheitsmechanismen notwendig, auch datenschutzrechtlich ist nichts zu holen. Warum existiert ein derartiges System nicht?
PLAGE LIEFERLOGISTIK
Die Ware ist bestellt, egal ob mittels ausgefeiltem Shoppingsystem, oder durch abtippen von der Homepage in ein Mail, nun beginnt das Warten auf die Ware.
Paßt die Ware nicht ins Postbrieffach und man ist nicht zu Hause, wird es im Postamt hinterlegt, führt ein privater Zusteller die Lieferung zu, werden auch kleinste Sendungen mangels Zugang nicht ins Postfach gestellt. Die Hinterlegung findet 'irgendwo' statt. Und um das herauszufinden, muß schon manchmal eine Mehrwertnummer gewählt werden. Die Shopbetreiber halten sich bezüglich Liefertermin oft vage, einen Rechtsanspruch auf einen bestimmten Zeitpunkt gibt es nicht, vielfach muß der Besteller 30 Tage Lieferzeiten ausdrücklich oder konludent akzeptieren. Wenn man Glück hat. Noch allzuoft verschwindet die Ware (angeblich) im Speditions-Niemandsland zwischen absendenden Shopbetreiber und empfangenden Kunden, kombiniert mit gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Für Terminlieferungen, Geburtstag oder Weihnacht, für den täglichen Bedarf, bei sperrigen Gütern, aber auch bei sonstigen regelmäßigen Zustellungen eine unbrauchbare Vorgangsweise. Was hilft es, vom Kauf zurücktreten zu können, wenn man am Weihnachtstag ohne Geschenke dasteht?
Und außerdem, wer kann schon einen halben Tag warten, um vielleicht zwei Blumentöpfe zu übernehmen? Hauszustellungen in der jetzigen Form sind nur für Rentner, Arbeitslose und Schlüsselkinder geeignet, nicht für arbeitende Menschen.
Ein weites Feld für Logistiker. Fixe Zustellzeiten, Stückgutverfolgung ab dem Zeitpunkt der Bestellannahme, Abholdepots in Häuserblocknähe, Möbelpacker, die die Ware hinauftragen, wann ich zu Hause bin.
Was als für Konsumenten utopisch klingt, ist im B2B-Geschäft gang und gäbe. Natürlich haben Konsumenten andere Voraussetzungen. Zum einen sind die bestellten Mengen kleiner, die Bestellungen seltener. Kein Shopbetreiber könnte österreichweit ein flächendeckendes Logistikkonzept anbieten, aber innovative Spediteure könnten es. Mit kleinen Distributionsdepots vor Ort. Wer in Wien die ehemaligen Haupt- und Nebeneinkaufsstraßen außerhalb des Rings durchwandert (Mariahilferstraße ausgenommen), wird reihenweise geschlossene Geschäfte finden. Zu klein für ein modernes Warenangebot und nicht mehr konkurrenzfähig zu den Shoppingcenter und Online-Shops.
Diese Lokale wären aber ideale Knoten für lokale Zustelldepots. Eingerichtet mit eigenen Schließfächern, Kühlgeräte für verderbliche Waren, aber auch mit einem kleinen Imbiss oder einem LastMinute-Sortiment für gestreßte Heimkehrende, könnte der klassische 'Greissler' in neuer Form auferstehen.
Für Spediteure ideale Partner vor Ort, um die Ware unbürokratisch zustellen zu können, für Shopbetreiber eine wertvolle Clearingstelle gegenüber Bestellmißbrauch und für den Konsumenten eine bequeme Anlaufstelle für Abholung kleinerer und Zustellung sperriger Waren.
Die Plage Lieferlogistik entpuppt sich als Bequemlichkeitsplage. Der kleine Shopverkäufer, der vielleicht ein paar Eigenprodukte vermarket, will und kann sich nicht um die punktegenaue Warenzustellung kümmern. Die Spediteure liefern von A nach B, was immer bei A und B passiert und der kleine Ladenbesitzer, der aus Konkurrenzgründen zusperren muß, ist zu stolz nur mehr Dienstleister für die Warenströme anderer zu sein.
PLAGE SICHERHEIT
Zuerst die provokanten Thesen:
These 1:
IT-Lösungen und ganz spezifische Internetlösungen sind sicher. Die gängigen Sicherheitsprobleme, wie Datenverlust, externe Angriffe, interne Manipulationen, Naturkatastrophen sind gelöst. Trotz aller gegenteiliger Behauptungen einer IT-VerUNsicherungsindustrie, die ständig neue Schreckenszenarien an die Wand malt. Der Autor hat keine Probleme ijährlich mehrere 10.000 EUR via Internet-Banking zu transferieren.
Internetprovider mit mehreren tausend Kunden im Massengeschäft oder mit wenigen dutzend Kunden im Highend-Geschäft müssen Verfügbarkeiten und Sicherheitsmassnahmen vorweisen, hinter denen klassische Bankapplikationen oder Behördenanwendungen noch bis in die Mitte der 90er Jahre weit zurückbleiben. Noch immer fallen die bankinternen Filialnetze öfter aus, als Internetapplikationen.
These 2:
Ob die Sicherheit gegeben ist oder nicht, ob also These 1 zutrifft oder nicht, dem Konsumenten ist es egal. Er geht davon aus, dass ein IT-Betreiber weiss, was er tut und im Falle eines Schadens oder Fehlers wird man sich schon einigen. Ein Ansatz, der auch durchaus berechtigt ist. Praktisch alle seriösen Onlinebetreiber reagieren bei Fehlern oder auch nur glaubwürdig behaupteten Fehlern, äußerst kulant. Seien dies die Kreditkartenunternehmen, aber auch Banken.
Warum kann dann ein SoBig-Wurm derartig wüten? Warum schrecken immer noch soviele Menschen davor zurück, tatsächlich Online Kreditkartendaten bekannt zu geben.
Antithese 1:
Auch wenn im Grunde Sicherheitsprobleme gelöst sind, stolpert oft die Praxis ganz anders dahin. Die immer komplexeren IT-Lösungen werden immer stärker mit sogenannten Standardprodukten realisiert. Leider genügen diese Standardprodukte keinen Standards und weisen daher jede Menge Bugs und Fehler auf. Darauf haben die Produzenten reagiert und bieten wiederum jede Menge Patches und Updates an. Die wiederum jede Menge ...
Der führende Anbieter des Betriebssystem-'Industriestandards' bietet praktisch täglich Upates an. Folgt man den Empfehlungen, müßte der typische Tag einer Bürosekretärin zuerst einmal mit einer Stunde Update ihres Bürorechners beginnen.
Ein funktionierender Online-Shop benötigt mit Webserver, Datenbank, Redaktionssystem, Zertifizierungsdienst und Warenwirtschaft neben dem Serverbetriebssystem mehrere hochkomplexe Pakete, deren verschiedenste Versionen in unvorhersehbarer, weil nicht dokumentierter Weise ,miteinander interagieren. Wer versucht, mit allen seinen Programmen tagesaktuell auf dem durch die Hersteller empfohlenen Patch- oder Servicelevel zu sein, wird zwar einen SuperServer haben, der aber bloß wenige Stunden oder Minuten pro Tag Online ist. Der Rest der Zeit geht im Upgrade-Rausch unter. Damit es keine Mißverständnisse gibt. Wir sprechen nicht von neuen Programmversionen mit neuen Features, sondern vom schlichten Löcherstopfen.
Wird also Sicherheit hoch geschrieben, geht die Verfügbarkeit flöten. Diese ist jedoch gerade der wichtigste Teil der vom Kunden wahrgenommenen Sicherheit. Was soll ein Kunde davon halten, wenn der Webshop zur Primetime, also tagsüber zwei Stunden wegen 'Systemwartungsarbeiten' geschlossen ist? Stillstand ist Stillstand, egal ob durch versagen der Sicherheit oder durch vorauseilende Sicherheitsupdates verursacht.
Das wissen Shopbetreiber und verzichten immer öfter auf Sicherheitsaktualisierungen. Im Zuge eines SSL-Bugs und später eines Mail-Bugs untersuchte e-rating knapp 2000 e-commerce-Server nach den installierten Programmversionen. Weniger als 5% der Systeme haben 2 Wochen nach den Vorfällen ein Update durchgeführt. Drei Monate später war die Updatequote noch immer bei unter 10%.
Antithese 2
Es kann sein, dass für die Konsumenten ein böses Erwachen kommt. Die heute geübte Kulanz könnte sich bald als unwirtschaftlich erweisen und dem Konsumenten einseitig Sicherheitsmaßnahmen aufbürden, die er eigentlich nicht tragen kann. So existieren im Bankenbereich Geschäftsbedingungen, die dem Internetbankkunden dazu verpflichten, auf seinem Rechner immer das letzte Sicherheitsniveau zu haben und alle Risken, die sich aus der Computerbenutzung und der Datenübertragung ergeben, ihm aufbürden.
Der dahinterstehende rechtliche Grundgedanke ist nachvollziehbar. Die Bank sieht sich bloß als 'Erfüllungsgehilfe' im Zahlverkehr und ist erst dann für die Zahlung verantwortlich, wenn Sie bei ihr einlangte. Früher war diese 'Schnittstelle' der Schalterpult und das 'Interface' ein Bankbeamter. Schnittstelle und Interface haben sich jedoch verschoben, wohin, darüber sind Konsumenten und Online-Betreiber unterschiedlicher Meinungen. Für den Konsumenten ist es sein Wohnziimmer und der Bildschirm seines Computers. Begriffe wie 'Sofa-Banking', 'Home-Banking' suggerieren ja, das die Bank zum Kunden kommt. Die Banken gehen aber davon aus das Home-Computer, Mobiltelefon und Datenleitung nur neue Methoden sind, den Weg zur Bank zu finden, vergleichbar früher der Straßenbahn und dem PKW.
Ein zentrales Mißverständnis, bei dem die Politik gefordert wäre zeitgerecht für Klarstellungen zu sorgen. Immerhin steht die EG-Richtlinie Finanzdienstleistungen im Fernabsatz noch zur Umsetzung aus. Und Österreich könnte sich ja erstmals mit einem mehr an Konsumentenschutz profilieren, statt immer nur das EU-Minimum halbherzig umzusetzen, wie im Telekombereich oder im klassischen Datenschutz.
Verfügbarkeit wichtiger als totale Sicherheit
Patentlösungen gibt es keine, doch der Autor hat ein gewisses Verständnis, dass in der sensiblen Frage der Ressourcenverteilung zwischen Angriffsabwehr und Verfügbarkeit immer öfter das Pendel in Richtung Verfügbarkeit ausschlägt.
Die Sicherheitsplage ist bei genauerem Hinsehen eine Softwareplage. Zu rasch und zu oft wird unfertige, nicht genügend getestete Software publiziert. Der sogenannte Beta-Test wird mittlerweile generell auf zahlende Kunden abgeschoben.
Anbieter von e-commerce-fähiger Software sollten statt mehr Features wesentlich stärker auf die Verfügbarkeit achten, ein Moratorium bei der Veröffentlichung neuer Programmversionen von 5 Jahren wäre höchst sinnvoll. Diese Zeit sollte genutzt werden, die Kinderkrankheiten der bisherigen Software wegzubringen und Basissicherheitsfeatures dort zu integrieren, wo die Sicherheitslücken existieren.
Oder könne Sie nachvollziehen, warum es ein Mailprogramm gibt, dass nicht in einer geschützen Betriebssystemumgebung läuft, dass alle paar Wochen upzudaten ist und ein Antivierenprogramm zusätzlich benötigt, dass wiederum alle paar Tage abzudaten ist und trotzdem keinen Schutz vor neuen Würmen bietet, die 16-jährige Kinder schreiben?
DIE ZUKUNFT VON E-COMMERCE
Wer geht noch zur Bank? Wer geht noch ins Reisebüro? Wer geht heute noch Visitenkarten einkaufen? Bücher? CD's? Software? Veranstaltungskarten? e-commerce ist, auch wenn es vielfach nicht so bezeichent wird, alltäglich geworden.
Das e-commerce eine Erfolgsstory wird, daran kann kein Zweifel bestehen. Offen ist nur wann und mit welchen Beteiligten. Wird es einige große, international agierende Anbieter geben, etwa einen 'Amazon' für alle mit einem relativ normierten Standardgeschmack und einer geradezu unglaublichen intimen Kenntnis der persönlichen Konsumentenwünsche oder können auch lokale Produzenten und Anbieter mitmachen?
Der Trend geht in integrierte und individualisierte Lösungen. CD's und Bücher einzukaufen ist zwar nett, umfaßt jedoch nur Randbereiche des Konsumentengeschäfts. Der Konsument will, wenn er Online shoppt alle Bereiche abdecken. Einrichtung und Mode genauso, wie Freizeit, Reise und Bildung. Finanz- und Versicherungsgeschäfte inklusive. Und die Frischmilch soll um 7 Uhr vor der Tür stehen. Mit Suchsystemen, die zu meinen Bedürfnissen die optimalen Lösungen finden. Unter Wahrung der Privatsphäre. Selbstverständlich.
Einen besonderen Boom erwartet der Autor für Gesundheitsprodukte und Wellness. Offenbar sind viele Menschen lieber bereit, intime und gesundheitliche Fragen in der Anonymität des Internets zu erörtern und anschliessend die empfohlenen Produkte zu kaufen, als zu Arzt oder Apotheke zu gehen. In den Niederlanden ist der Medikamentenhandel via Internet schon erlaubt, in Deutschland ab 2004. Österreichs Apothekerkammer wehrt sich (noch) dagegen. Sie wird wohl nur die Wahl haben, den Onlinemedikamentenhandel zu akzeptieren oder aus Mitgliedermangel pleite zu gehen.
Und alle Waren sollen individuellen Anstrich bekommen. Sei es die Anpassung seiner Designermode, die spezielle Farbe der Kochtöpfe oder die Sonderausstattung des neuen PKW's. Optimal mit einer Webcam zur Kontrolle des Produktionsprozesses seines 'persönlichen' Gefährts.
Personal Manufacturing und Integrated Personal Manufacturing sind die Killerapplikationen im e-commerce.
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