Verwirrung um Selbsthilfe seit „Schwarzfahrer-Entscheidung“ des OGH
Welche Selbsthilferechte bestehen, wenn jemand der unzulässigen Nutzung von Einrichtungen verdächtigt wird? - OGH-Entscheidung brachte mehr Verwirrung als Klarheit - Was dürfen „Privatsheriffs“ und mit welchen rechtlichen Konsequenzen haben „Schwarzfahrer“, „Schwarzläufer“ auf Langlaufloipen und generell Personen, die eine Leistung in Anspruch nehmen, ohne dafür zu bezahlen, zu rechnen? - Anhaltung bei zivilrechtlichen Fällen schon wegen des Eingreifverbots der Polizei unzulässig - "Anhalter" begehen leicht den Tatbestand der Nötigung
Für allgemeine Verwirrung sorgt noch immer die sogenannte Schwarzfahrer-Entscheidung“ (15Os71/07s) des Obersten Gerichtshof aus dem vergangenen Jahr. Tenor: Kontrolleure öffentlicher Verkehrsbetriebe sind berechtigt, mutmaßliche „Schwarzfahrer“ in maßvoller Weise bis zum Eintreffen der Polizei anzuhalten.
Seit einem Bericht der ARGE DATEN im November 2007 (http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGED...) langen zahlreiche Anfragen ein. Tenor: Gilt das nur für den öffentlichen Verkehr? Und was kann etwa passieren, wenn man bestimmte Leistungen in Anspruch nimmt (Veranstaltungen, Langlaufloipe, Sessellift) ohne die dafür vorgesehene Gebühren zu entrichten? Ein kurzer Überblick über mögliche Folgen im gerichtlichen Strafrecht, Verwaltungsstrafrecht sowie Zivilrecht.
Gerichtliches Strafrecht
Ins Auge sticht zunächst die Bestimmung des § 149 Abs 1 StGB über das Erschleichen von Leistungen. Wörtlich heißt es dort: Wer die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Anstalt oder den Zutritt zu einer Aufführung, Ausstellung oder einer anderen Veranstaltung oder zu einer Einrichtung durch Täuschung über Tatsachen erschleicht, ohne das festgesetzte Entgelt zu entrichten, ist, wenn das Entgelt nur gering ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Monat oder mit Geldstrafe bis zu 60 Tagessätzen zu bestrafen. Auf diese Bestimmung berufen sich – so man entsprechende Zuschriften heranzieht - die Betreiber einer steirischen Loipenanlage, die diese auf sogenannte „Schwarzläufer“ kontrolliert und ein Anhalterecht sieht.
Bei derartigen Rechtsauffassungen wird aber eines übersehen: Die Tathandlung betrifft einen Sonderfall des Betruges, der jeweils andere muss durch Täuschung über Tatsachen irregeführt und dadurch zu einer Vermögensverfügung verleitet werden, die im Gewähren der weiteren Beförderung/Benutzung oder des Zutritts besteht. Tatbildlich ist dabei aber stets nur die Täuschung einer Kontrollperson. Ausweichen vor dem herannahenden Schaffner/Kontrolleur ohne Vorspiegelung von Tatsachen, die den Anspruch auf Benutzung erscheinen lassen, erfüllt das Tatbestandsmerkmal der Täuschung nicht. Auch bloßes Umgehen einer Kontrolleinrichtung oder demonstratives Verweigern der Entgeltzahlung ist kein Erschleichen.
Das bedeutet im Endeffekt: Bloße „Schwarzbenutzung“ von irgendwelchen Leistungen - öffentlicher Verkehr, Zutritt zu Veranstaltungen, Sessellift, Loipe - ist für sich nicht gerichtlich strafbar. Sehr wohl strafbar ist hingegen, wenn gegenüber einem entsprechenden Kontrollorgan vorgespiegelt wird, zur Benutzung berechtigt zu sein: Etwa durch Vorweisen einer gefälschten Karte. Ob auch das Vorzeigen irgendeines Zettels oder die Aussage man „habe eh schon bezahlt“ gerichtlich strafbar sein kann, ist umstritten - möglicherweise wird man hier einen untauglichen Versuch annehmen müssen.
Verwaltungsstrafrecht
Sehr wohl strafbar ist eine entsprechende unberechtigte Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach der Verwaltungsstrafbestimmung des Art. IX Abs 1 EGVG. Diese etwas seltsame Auffangbestimmung richtet sich übrigens neben „Schwarzfahrer“ auch gegen „Rassisten“ und nationalsozialistische Wiederbetätiger.
Wer sich außer in den Fällen einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Einrichtung verschafft, ohne das nach den Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen dieser Einrichtungen festgesetzte Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, begeht nach Z 4 dieser Bestimmung eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 218 Euro zu bestrafen, auch der Versuch ist strafbar. Wer die entsprechende Strafe nicht entrichtet kann auch zu einer verwaltungsstrafrechtlichen Ersatzfreiheitsstrafe verdonnert werden, im Strafregisterauszug scheinen derartige Strafen - im Gegensatz zu gerichtlich verhängten - nicht auf.
Die Tat wird aber verwaltungsrechtlich straflos, wenn der Täter bei der Betretung, wenngleich auf Aufforderung, den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag unverzüglich zahlt. Dies gilt auch, wenn der Täter den Fahrpreis und einen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen etwa vorgesehenen Zuschlag innerhalb von drei Tagen zahlt, sofern er sich bei der Zahlungsaufforderung im Beförderungsmittel durch eine mit einem Lichtbild ausgestattete öffentliche Urkunde ausweist.
Diese Verwaltungsstrafbestimmung gilt allerdings nur für den öffentlichen Verkehr, sonstige Einrichtungen und Veranstaltungen sind davon nicht betroffen.
Zivilrechtliche Folgen
In allen anderen Fällen, insbesondere beim Betrieb von Tourismuseinrichtungen, verbleiben bloß zivilrechtliche Ansprüche. Unbestritten ist, dass derjenige, der eine Leistung unberechtigt in Anspruch nimmt, dem Berechtigten gegenüber zivilrechtlich verantwortlich ist. Der „Schwarzfahrer“, „Schwarzläufer“ oder sonstige Leistungsempfänger ist verpflichtet, dem Anspruchsinhaber entweder einen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder auf sonstige Art deutlich kundgemachten pauschalierten Betrag zu leisten (die sogenannte „Strafe“ beim Schwarzfahren) bzw. – wenn das fehlt - das ortsübliche und angemessene Benutzungsentgelt zu entrichten. Dieses kann der Berechtigte natürlich auch mit einer zivilgerichtlichen Klage geltendmachen. Darüber hinaus könnte auch eine Besitzstörungsklage eingebracht werden.
Anhaltung möglich?
Diese Übersicht führt zur Frage, wann ein unberechtigter Benutzer durch den Anspruchsinhaber angehalten werden darf, um dessen Identität feststellen zu lassen. Unbestritten ist jedenfalls eine entsprechende verhältnismäßige Anhaltung dann, wenn Fälle gerichtlicher Strafbarkeit vorliegen. Wer auf Grund bestimmter Tatsachen annehmen kann, dass eine Person eine strafbare Handlung ausführt oder unmittelbar zuvor ausgeführt hat, ist gem. § 80 StPO berechtigt, diese Person auf verhältnismäßige Weise anzuhalten, jedoch zur unverzüglichen Anzeige an das nächste erreichbare Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes verpflichtet. Das bedeutet: Wenn eine entsprechende Handlung dem gerichtlichen Strafrecht unterliegt, darf „verhältnismäßig“ angehalten werden bis die Polizei eintrifft und eine entsprechende Identitätsfeststellung vornimmt. Nicht zulässig ist dagegen überschießendes Verhalten: Wer einen „Schwarzbenutzer“ zu Boden reißt oder schlägt, wird dafür wohl - den jeweiligen Umständen nach - selbst dem gerichtlichen Strafrecht unterliegen bzw. mit zivilrechtlichen Sanktionen rechnen müssen.
In allen anderen Fällen kann sich der Berechtigte nicht auf das sogenannte „Anhalterecht“ berufen. Daher galt bis zur eingangs zitierten Entscheidung des OGH: Sofern kein gerichtlich strafbarer Tatbestand, keine Anhaltung - egal ob „Schwarzfahrer“ oder sonstiger „Schwarzbenutzer“.
In der zitierten Entscheidung stützt sich der OGH hingegen nicht auf das sogenannte „Anhalterecht“, sondern vielmehr auf die privatrechtliche Bestimmung des § 344 ABGB, welcher grundsätzlich den rechtmäßigen Schutz von Besitz mit „angemessener Gewalt“ für den Fall des Zuspätkommens behördlicher Hilfe normiert. Das kurzfristige Anhalten eines „Schwarzfahrers" bis zur Identitätsfeststellung durch die Polizei wird durch das Höchstgericht als angemessen qualifiziert, weil es in der Regel das gelindeste - und einzige - Mittel zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes sei.
Die Entscheidung ist vor allem aus einem Grund fragwürdig: § 344 erklärt ausdrücklich den Besitz zum notwehrfähigen Rechtsgut. Die zur Verteidigung angewendete Gewalt darf dabei das zur Abwehr nötige Maß nicht überschreiten, die allfällige Verletzung der Interessen des Angreifers nicht außer Verhältnis zur Gefahr des Angriffes stehen. Es muss weiters die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ernstlich in Frage gestellt sein.
Selbsthilfe dient daher der Abwehr von „Besitzstörungen“, was aber bei „Schwarzbenutzern“, die freiwillig von der Störung ablassen (Weglaufen in der Bahnstation, Entfernen von der Loipe oder sonstigen Veranstaltung) nicht vorliegt. Das Anhalten dient in diesen Fällen letztendlich nicht dem Schutz des ruhigen Besitzes - der ja schon längst wiederhergestellt ist - sondern der Sicherung zivilrechtlicher Ansprüche. Insoferne erweist sich die Entscheidung als juristischer Missgriff.
Die zitierte Entscheidung gibt dem Berechtigten zwar ein Recht zur Anhaltung bei nicht gerichtlich strafbaren „Schwarzbenutzungen“, ist aber völlig systemwidrig. Ob die Judikatur so bleibt, ist daher mehr als fraglich.
Anhaltung auch bei anderen Schwarznutzungen ?
Dass die Entscheidung daneben liegt, ist auch erkenntlich, wenn man versucht, sie auf andere „Schwarzbenutzer“ als die im öffentlichen Verkehr anzuwenden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Recht der Selbsthilfe so extensiv auszulegen ist, dass bis zum Eintreffen der Behörden angehalten werden darf, ist dieses auf andere Schwarznutzer nicht anwendbar. Die Polizei darf in zivilrechtlichen Angelegenheiten gar nicht einschreiten und erscheinen.
Während das „Schwarzfahren“ im öffentlichen Verkehr ein Verwaltungsstrafdelikt darstellt, erwirbt der sonstige Berechtigte hingegen nur zivilrechtliche Ansprüche gegen den Benutzer. Eine Identitätsfeststellung durch die Polizei ist in diesen Fällen gar nicht vorgesehen. Diese ist im übrigen schon beim „Schwarzfahren“ im öffentlichen Verkehr fragwürdig, da § 35 VStG bei der Identitätsfeststellung vom „Ertappen bei frisch begangener Tat“ ausgeht und beim „Schwarzfahren“ die Polizei erst durch private Kontrolleure herbeigerufen werden muss.
Bei sonstigen Schwarznutzungen hat die Polizei nichts verloren, warum sollte man den Schwarznutzer also anhalten dürfen? Die Identitätsfeststellung ist hier alleine Aufgabe des Berechtigten und wird - ohne unzulässigen Eingriff - vermutlich schwierig sein. Ein unberechtigtes Festhalten kann - auch ohne Körperverletzung - als Nötigung gerichtlich strafbar sein und kann man sich als unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre auch mit einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage zur Wehr setzen.
Zusammenfassend ergibt sich folgendes Bild
Betrügerisches Erschleichen von Leistungen: gerichtlicher Straftatbestand sowie zivilrechtliche Folgen. Anhaltung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit bis zum Behördeneintreffen zulässig.
„Schwarzfahren“ im öffentlichen Verkehr: bei Nichtzahlung bzw. Nichtausweisung Verwaltungsstrafdelikt sowie zivilrechtliche Folgen („Strafe“ des Unternehmens). OGH rechtfertigt neuerdings die Anhaltung bis zum Eintreffen der Polizei, welche die Daten aufgrund des Verwaltungsverstoßes feststellt, mit erlaubter Selbsthilfe. Entscheidung umstritten und sehr fragwürdig.
Sonstige „Schwarzbenutzungen“: in der Regel nur zivilrechtlich zu ahnden (Benützungsentgelt, Besitzstörung). Anhaltung kann hier keinesfalls gerechtfertigt sein. Mangels Strafbarkeit darf auch die Polizei keine Identitätsfeststellung vornehmen. Anhalter laufen gefahr selbst wegen Nötigung gerichtlich belangt zu werden.
mehr --> "Schwarzfahrer-Entscheidung" des OGH erhöht Kompetenzen von "P...
|