2010/01/11 Stellungnahme zum Gesetz über Telefon- und Internetüberwachung (Vorratsdatenspeicherung) Hans G. Zeger
Willkürlich, unzulässig und rechtswidrig sind die Hauptmerkmale des vom BMVIT in Umlauf gebrachten Überwachungsentwurfs - 12. Jänner findet Informationsveranstaltung statt - Österreich drängt in die Präventivfalle - Begutachtungsfrist endet am 15. Jänner 2010 - ARGE DATEN gibt Grundsatzstellungnahme ab - Jeder kann, jeder soll, jeder muss sich mit Stellungnahme beteiligen
Willkürlich, unzulässig und rechtswidrig
Um das Geltungsbedürfnis paranoider und geltungssüchtiger EU-Beamter zu befriedigen, die ihre Inkompetenz in Sicherheitsfragen verschleiern müssen, wurde 2006 eine höchst gefährliche EG-Richtlinie 2006/24/EG verabschiedet. Spätestens seit 1.12.2009, dem Inkrafttreten des Lissabonvertrags und daher der unmittelbaren Wirkung der EU-Grundrechtscharta, widerspricht diese Richtlinie direkt EU-Grundrechten, die Vorrang vor einfachen Richtlinien haben.
Der Entwurf sieht über viele Seiten die Speicherung zahlreicher Kommunikationsdaten vor, zum Teil Daten, die bisher nicht einmal der Internet-Service-Provider speicherte.
Geradezu blödsinnig und ins fahrlässige abgleitend ist der Entwurf in seiner Formulierung, er ist nicht einmal rechtstechnisch und formal ordentlich formuliert. So soll zwar die Speicherpflicht alle "Anbieter öffentlicher Kommunikationsdienste" treffen, der Gesetzgeber hat es aber verabsäumt, diese Anbieter zu definieren. Das gesamte TKG 2003 kennt nämlich nur "Betreiber von Kommunikationsdiensten".
Ein Rechtspfusch, der in keinem Jusseminar einer österreichischen Universität zu einer positiven Benotung führen würde. Und was unter "öffentlich" bzw. "nicht-öffentlich" zu verstehen ist, steht sowieso in den Sternen. Offensichtlich sind jedoch alle privaten Telefonnetze (die 05-Netze), aber auch alle eMail-Server von Firmen, Behörden, Vereinen und sonstigen Organisationen als jedenfalls "nicht-öffentliche" Netze von der Aufzeichnungspflicht ausgenommen. Durch Server-zu-Server-Verschlüsselung, die Stand der Technik ist, kann eine unerwünschte Speicherung im Übertragungsweg zuverlässig verhindert werden. Die ARGE DATEN berichtete darüber (https://www.globaltrust.eu/php/cms_monitor.php?q=PUB&s=95950yiv).
Willkürlich
Der vorliegende Entwurf ist willkürlich, da er den wesentlichen Teil der Richtlinie, nämlich zu welchem Zweck und zur Aufklärung welcher Strafdaten Telefon- und Internetdaten gesammelt werden sollen, nicht beantwortet.
Der Vorgang ist rechtstechnisch einmalig in Österreich. Bisher war es üblich bei komplexen Gesetzesänderungen alle davon betroffenen Gesetze in einer Novelle gemeinsam und aufeinander abgestimmt zu ändern. Bei der Vorratsdatenspeicherung wären jedenfalls die Verfassung (B-VG, StGG, EMRK), die Strafprozessordnung (StPO), das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) und das Telekommunikationsgesetz (TKG), vermutlich auch die Zivilprozessordnung (ZPO) zu ändern. Diesmal wird - nach dem Motto - schaun' wir was der blöde Bürger schluckt - nur der unwichtigste Teil, die technische Datenerhebung im TKG geregelt und alle Fragen der Zugriffe auf die Daten der Willkür von Innen- und Justizministerium überlassen.
Unzulässig und rechtswidrig
Mit der verdachtsunabhängigen Speicherung von Kommunikationsdaten ohne präzise definierten Zweck wird ein Eckpfeiler der Grund- und Menschenrechte ausgehebelt. Niemand darf einer Überwachung ohne konkrete Verdachtsmomente ausgesetzt werden. Einfachgesetzliche Maßnahmen, die derartiges vorsehen widersprechen unter anderem der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich unmittelbar gilt und im Verfassungsrang steht.
Die obersten Gerichte von Bulgarien und Rumänien haben genau aus diesem Grund die Vorratsdatenspeichergesetze dieser Länder wieder aufgehoben.
Bedenklich
Bedenklich ist leider auch, dass sich eine früher anerkannte Institution wie das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM) zu derartigem Unfug hergegeben hat. Wieviel ließ sich das BMVIT die Verbreitung derartigen Unsinns kosten?
Veranstaltung 12.1.2010
Sinn und Unsinn der Vorratsdatenspeicherung - 12. Jänner 2010 Beginn 16 Uhr
Ort: OCG, A-1010 Wien, Wollzeile 1-3
Referenten:
Rechtsanwalt Mag. Ewald Scheucher, Arbeitsgruppe Vorrat, Experte in Grundrechtsschutz
BSc. Christian Czeczil, e-commerce monitoring GmbH, Experte in der "Umgehung" der Vorratsdatenspeicherung
Dr. Hans G. Zeger, Obmann der ARGE DATEN
Diskutiert werden sowohl die Grundrechtsfragen der Vorratsdatenspeicherung, aber auch welche technischen Auswirkungen zu erwarten sind.
Eintritt frei, Anmeldung erbeten (info@argedaten.at)
Selbstverständlich haben wir auch einen Vertreter des Bundeskriminalamts als Befürworter der Vorratsdatenspeicherung eingeladen. Er wäre auch gern gekommen, hat jedoch "von höherer Stelle" ein - wie er es selbst bezeichnete - Sprechverbot erhalten.
Wem nützt eigentlich die vorbeugende Bürgerüberwachung?
a) Politikern
Politiker der Industrienationen müssen seit mehreren Jahren ihre immer geringer werdenden Einflussmöglichkeiten bei den großen gesellschaftspolitischen Themen eingestehen. Längst sind sie Spielball gut geölter Lobbymaschinen geworden und können weder im wirtschaftlichen Bereich, noch in Energiepolitik, in Gesundheitspolitik oder in Fragen sozialer Sicherheit relevantes anbieten.
Immer mehr Politiker haben daher das Schüren von Ängsten, seien es Terrorängste, Zukunftsängste oder auch nur Epidemieängste zu ihrem - einzigen - politischen Programm erhoben. Angst zu schüren bedarf aber auch immer wieder Aktionen zur scheinbaren Angstreduktion. Dazu ist die Vorratsdatenspeicherung perfekt geeignet. Sie suggeriert, das es ein terroristisches Kommunikationsmuster gibt, dass man durch die vorbeugend aufgezeichneten Daten ausforschen kann.
b) Politikern
Vielen Politikern sind Grund- und Freiheitsrechte schon seit langem ein Dorn im Auge. Sie machen Regieren und Macht ausüben mühsam, sie behindern die freie und willkürliche "Entscheidungsverantwortung" (Copyright Josef Pröll). Grundrechte sind in einer globalisierten Gesellschaft "nicht effizient genug". Für diese Antimoderne Strömung kommt die EG-Richtlinie gerade zur rechten Zeit.
Erstmals ist es möglich allen Bürgern zu signalisieren, pass auf mit wem du kommunizierst, wir können jederzeit nachweisen, dass du Teil eines kriminellen Netzwerkes bist. Kannst du uns dann deine Unschuld beweisen? Aus der Unschuldsvermutung wird der Schuldverdacht, aus dem man sich erst freibeweisen muss.
c) Politikern
Ein Gesetz wie die Vorratsdatenspeicherung ist auch ein Liebesdienst an diverse Lobbyisten, Besitzstanderhaltern und selbsternannten Leistungsträgern, denen immer mehr Politiker verpflichtet sind. Diese können mit Hilfe des Gesetzes besser ihren Interessen nachgehen. So wundert es wohl nicht, dass die Kopierindustrie schon ganz früh die Einführung dieses Gesetzes forderte.
d) Der Hardwareindustrie
Die Vorratsdatenspeicherung ist für Storagefirmen wie Ostern und Weihnachten zugleich. Der Preisverfall im Speichermarkt ruft ständig nach neuen Absatzmärkten. Die komplizierten und hochsicheren Anforderungen zur Vorratsdatenspeicherung bescheren hier einen willkommenen Absatzimpuls.
e) Der Softwareindustrie
Noch ist das Terrorbit nicht erfunden, keinem Telefonanruf oder eMail-Kontakt ist seine Terrorgefahr anzumerken. Keiner der hunderte Milliarden Datensätze, die in Zukunft durch die Vorratsdatenspeicherung gesammelt werden, enthält das Terrorkennzeichen. Statt die Suche nach der Nadel (kriminelle Taten) zu verbessern wird der Heuhaufen (Alltagskommunikation) vergrößert. Um für diesen Datenschrott zumindest den Anschein der Sinnhaftigkeit aufrecht zu erhalten, müssen Unmengen neuer Programme geschrieben werden, die zumindest versprechen "verdächtiges" Surf- und Telefonierverhalten zu erkennen, kriminelle von nicht-kriminellen Telefonkontakten aussortieren zu können.
Bis der dümmste Politiker auf den Unsinn dieses Versprechens draufkommt sind schon wieder viele hundert Millionen Euro ausgegeben, die Überwachungsblase geplatzt und die Nutznießer haben ihre Schäfchen im Trockenen.
f) Der Kopierindustrie
Die Entwicklung des Internets mit seinen kreativen Freiräumen, aber auch den erleichterten Tauschmöglichkeiten ist der Kopierindustrie schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Statt jedoch die geschäftsmodelle anzupassen wird versucht bisher legales Benutzerverhalten zu kriminalisieren. Laufend werden daher die Urheberechtsgesetze und Strafgesetze verschärft. Es war wohl einer der größten Lobbyistenerfolge, dass die Vorratsspeicherung, die vorgeblich der Terrorbekämpfung dienen soll, in einen Nebensatz auch zur Verfolgung jeder Art von Internet- und Kommunikationsdelikten dienen soll. Darunter fällt auch die Verfolgung von Privatpersonen die Software und Musik austauschen oder weitergeben.
g) Paranoikern aller Länder
Für "Sicherheits"firmen, Sicherheits"berater" und sonstige berufsmäßige Paranoiker ist natürlich die Vorratsdatenspeicherung Öl im Feuer ihrer geschürten Hysterie. Damit wird quasi amtlich bestätigt, dass die geschürte Angst real ist. Dass die Vorratsdatenspeicherung keine Verbesserung der Sicherheitslage bringt ist dabei gar kein Nachteil, sondern ein zusätzlicher Vorteil. Können doch damit weitere und neue - nun endlich effiziente - Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen verlangt werden.
h) Terroistischen Netzwerken
Und die eigentlichen Adressaten dieses Unfugs, die terroristischen Netzwerke lachen wohl nur über die Unfähigkeit des Westens angemessen zu reagieren. Längst haben sie ihre Kommunikationsstrukturen, die nur zum geringsten Teil auf elektronischer Kommunikation aufbauen, technisch und organisatorisch gehärtet und abgesichert. Sie wissen, dass nun bei Angriffen viel Zeit, Personenkapazität und Energie in die Heuhaufensuche gehen wird und sie genügend Zeit haben ihre Spuren zu verwischen. Und bei Bedarf wird es auch immer leichter durch "verdächtige" Kommunikationsmuster falsche Fährten zu legen.
Österreich drängt in die Präventivfalle
Dort wo andere Länder, allen voran die USA und Großbritannien, längst sind, will Österreich auch hin. In einen sicherheitspolitischen Zustand, der am Einfachsten als Präventivfalle umschrieben werden kann.
Durch immer gefinkeltere technische Möglichkeiten werden über immer mehr Bürger zahllose Daten gesammelt und die Bürger in Verdachtslisten auf Vorrat gespeichert. Mittlerweile ist die Zahl der Listen und betroffenen Bürger derartig groß, dass danach nicht mehr gehandelt werden kann. Konkurrierende Geheimdienste (Copyright USA) oder ein Meer an Videodaten (Copyright GB) verstellen die Sicht auf tatsächliche Bedrohungen. Der detroiter XMas-Attentäter stand auf einer dieser tausenden Verdachtslisten. Warum er trotzdem einreisen durfte war der Öffentlichkeit ein Rätsel. Was nicht diskutiert wurde war folgende Tatsache: würde man auf alle auf diesen Listen stehenden Millionen Menschen gleichen oder ähnlichen Namens reagieren, dann wär der globale Reiseverkehr längst zusammen gebrochen.
Mit der Vorratsdatenspeicherung macht Österreich den Schritt in diese Richtung. Es wird dann nur eine Frage der Zeit sein, dass der Ruf nach einer Risikoliste von Personen auftaucht, die verdächtiges Kommunikationsverahlten haben. Journalisten und Beamte, Rechtsanwälte und hochrangige Firmenmitarbeiter werden dort genauso aufscheinen, wie PEPs, politisch exponierte Personen. Und hoffentlich auch der Autor (zumindest arbeitet er fleißig daran).
Heute sind keine realen Bombenanschläge mehr notwendig um die Grundlagen der Industrienationen nachhaltig zu erschüttern. Verdächtige Gerüche (Honig), Spielzeugpistolen und selbst geschaffene Sicherheitsmängel reichen aus, um Flughäfen lahm zu legen, Menschen von der Flugreise abzuhalten, Panik und Schrecken zu verbreiten.
Nach US-Studien kostete die nach 911 grasierende Flugangst und das Ausweichen auf das "sichere" Auto innerhalb der USA etwa 1.000-1.500 Menschen das Leben. Ein vielfaches der durch Flugzeugabstürze ums Leben kommenden Menschen - weltweit.
Der wohl größte anzunehmende "Terror"anschlag wird wohl in nächster Zeit das gezielte verstreuen von Sprengstoffspuren am Reisegepäck und an der Kleidung von Passagieren sein. "Infektionswege" gibt es zahllose, die Vorgangsweise ist denkbar einfach, praktisch nicht identifizierbar und nicht einmal so ohne weiters als kriminelle Tat einstufbar. Das damit auszulösende Chaos aber wohl wirksamer als ein isolierter Flugzeugabsturz.
ARGE DATEN gibt Grundsatzstellungnahme ab
Zur Vorratsdatenspeicherung hat die ARGE DATEN, wie schon 2007 eine Grundsatzstellungnahme abgegeben (http://ftp.freenet.at/privacy/gesetze/stellungnahme-vorratsda...). Wir wollen uns nicht mit rechtstechnischen Detailfragen beschäftigen sondern appellieren an die Abgeordneten endlich aufzuwachen, Sicherheitsfragen ernst zu nehmen und diese gemeinsam mit dem Erhalt der Grund- und Menschenrechte zu lösen.
Die österreichischen Abgeordneten sollten diesem Entwurf ihre Zustimmung verweigern und stattdessen, unter Hinweis auf die seit 1. Dezember 2009 geltende EU-Grundrechtscharta, den Verflichtungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und den verfassungsgesetzlich garantierten Grund- und Freiheitsrechten auf eine Aufhebung der EG-Richtlinie 2006/24/EG hinarbeiten.
Jeder kann, jeder soll, jeder muss sich mit Stellungnahme beteiligen
Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass sie mit einer direkten Stellungnahme politischen Einfluss geltend machen können. Jede Stellungnahme zählt!
Für die Stellungnahme sind keinerlei Formvorschriften zu beachten, es können Teile unserer Stellungnahme verwendet werden, es können eigene Bedenken formuliert werden. Nach unseren Erfahrungen werden diese Stellungnahmen von den Politikern stark beachtet.
Stellungnahmen zum Entwurf sind unter Hinweis auf die Geschäftszahl BMVIT-630.333/0001-III/PT2/2009 an das BMVIT, Sektion III, Abteilung PT 2, Ghegastraße 1, 1030 Wien und Parlamentsdirektion, Begutachtungsverfahren, 1010 Wien (25 Kopien) zu senden.
Noch einfacher ist es aber die Stellungnahme per E-Mail an jd@bmvit.gv.at und begutachtungsverfahren@parlinkom.gv.at zu senden.
Formal endet die Begutachtungsfrist mit 15. Jänner 2010, es ist aber üblich auch später einlangende Stellungnahmen zu beachten.
Hinweis! Eine sehr gute Stellungnahme hat auch der AK Vorrat (http://www.akvorrat.at/) abgegeben, deren grundrechtliche Argumentation von der ARGE DAETN weitgehend übernommen wurde (http://www.parlament.gv.at/PG/DE/XXIV/ME/ME_00117_06/imfname_...).
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