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OGH unzuständig bei Videoüberwachung im Mietshaus?
MMag. Michael Krenn; Stand: 05.03.2013
Zuständigkeitsdschungel in Datenschutzfragen um eine Nuance reicher - Oberster Gerichtshof (OGH) wies Klage über Zulässigkeit der Videoüberwachung eines Mieters zurück - Begründung: Es handle sich um eine Mietrechtssache die im Außerstreitverfahren zu führen ist - OGH (6Ob229/11m)

Videoüberwachung als Präventivmaßnahme im Nachbarschaftsstreit

Eine Wohnungsmieterin wurde über Jahre hinweg tyrannisiert, etwa indem das Schlüsselloch mit Spezialkleber verklebt, das Türblatt angeritzt oder verschmiert wurde. Die Mieterin vermutete ihre Wohnungsnachbarin als Urheberin. Die betroffene Mieterin meldete - nach mehreren erfolglosen Einigungsversuchen - die Installation einer Videokamera bei ihrer Vermieterin an und ließ eine solche installieren. Danach kam es zu keinen weiteren Übergriffen mehr. Überwacht wurde der Bereich vor der Wohnungstür, die Eingangstür zu einem Lift, ein geringer Teil des Stiegenhauses sowie von oben die Türmatte der anschließenden Nachbarwohnung. Die Kamera zeichnete ständig auf, die Aufzeichnungen löschten sich alle ein bis zwei Tage selbst bzw. wurden überschrieben.

Die Hauseigentümerin war mit den Überwachungsmaßnahmen ihrer Liegenschaft nicht einverstanden. Sie begehrte gerichtlich, die Mieterin zur Entfernung der Videoüberwachungsanlage sowie zur künftigen Unterlassung der Anbringung von Videoüberwachungsanlagen im Stiegenhaus zu verurteilen.


Gelindestes Mittel der Selbsthilfe oder Verstoß gegen Mietvertrag?

Die Klägerin brachte vor, die Mieterin habe die Videoüberwachungsanlage ohne ihre Zustimmung errichtet. Deren Anbringung verstoße nicht nur gegen wohnrechtliche Bestimmungen, sondern auch gegen den Mietvertrag und die Hausordnung, weshalb die Ansprüche nicht im Außerstreitverfahren, sondern im streitigen Rechtsweg geltend zu machen seien. Nach dem Mietvertrag stehe dem Mieter das Recht zu, die bestehenden Anlagen des Hauses, die der gemeinsamen Benützung der Bewohner dienen, gemäß der Hausordnung zu benützen. Alle Veränderungen am Bestandgegenstand dürften nur mit schriftlicher Erlaubnis der Vermieterin vorgenommen oder wieder beseitigt werden. Die Videoüberwachungsanlage beeinträchtige darüber hinaus schutzwürdige Interessen der Privatsphäre.

Die Mieterin wendete ein, ein Eingriff in die Privatsphäre anderer Mieter liege nicht vor, da ausschließlich der unmittelbare Eingangsbereich Ihrer Wohnung überwacht werde. Die Anbringung der Videokamera stelle weiters die einzige adäquate Möglichkeit zum Schutz vor weiteren Beschädigungen dar. Seit diesem Zeitpunkt habe es keine weiteren Übergriffe mehr gegeben. Aufgrund der wiederholten Eingriffe liege ein berechtigtes Interesse der Beklagten vor.

Erstgericht und Berufungsgericht entschieden zugunsten der Mieterin, da sie ein berechtigtes Interesse an der Überwachung bejahten und dieses, gemessen an der Eingriffsintensität, als adäquates Mittel der Selbsthilfe erachteten.


OGH weist Klage nach zwei Instanzen zurück

Anders der OGH, der die Klage anhand folgender Argumentation zurückwies:

Die Klägerin habe die geltend gemachten Ansprüche auch auf § 9 Mietrechtsgesetz (MRG) gestützt. Nach § 9 Abs 1 MRG habe der Hauptmieter eine von ihm beabsichtigte wesentliche Veränderung des Mietgegenstands dem Vermieter anzuzeigen. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung betreffe der Anwendungsbereich des § 9 MRG zwar grundsätzlich nur Veränderungen innerhalb des Mietgegenstands, die Rechtsprechung habe den Anwendungsbereich aber ausgedehnt. Etwa war die von der Mieterin zweier Geschäftslokale begehrte Anbringung einer zur Alarmanlage gehörigen Außensirene im Hof des Hauses als Fall des § 9 MRG angesehen worden. Dieser Fall sei mit dem vorliegenden durchaus vergleichbar.

In beiden Fällen würde sich die Anlage (dort Alarmanlage, hier Videoüberwachungsanlage) teilweise innerhalb (dort etwa Innensirene, hier digitales Aufzeichnungsgerät) und teilweise außerhalb (dort Außensirene, hier Videokamera) des Mietgegenstands befinden. Es sei daher auch der hier vorliegende Fall dem § 9 MRG zu unterstellen. Über Anträge, die die Veränderung der zum entgeltlichen Gebrauch überlassenen Wohnung betreffen würden, sei grundsätzlich im Außerstreitverfahren zu entscheiden. Verfüge eine Gemeinde über einen in Mietangelegenheiten fachlich geschulten Beamten oder Angestellten (wie etwa die Schlichtungsstelle der Gemeinde Wien), so könne ein Verfahren bei Gericht nur eingeleitet werden, wenn die Sache vorher bei der Gemeinde anhängig gemacht worden sei. Da eine Anrufung der mietrechtlichen Schlichtungsstelle vorab nicht erfolgt sei, sei die Klage zurückzuweisen.


Resümee: Datenschutzrechtlicher Zuständigkeitsdschungel

Die Entscheidung des OGH erweist sich im Sinne unklarer Zuständigkeiten in Datenschutzfragen als unerfreulich. Bereits die Zuständigkeitsaufteilung zwischen Datenschutzkommission und ordentlicher Gerichtsbarkeit in Zivilfragen ist verwirrend genug. Nunmehr wird durch die Rechtsprechung weiters die sachliche Zuständigkeit in zivilgerichtlichen Verfahren unübersichtlich gemacht. Trotz einer an sich klaren Zuständigkeitsnorm im Datenschutzgesetz 2000 (DSG 2000). Gemäß § 32 Abs 4 DSG 2000 ist für Klagen, welche auf das Datenschutzgesetz gestützt werden, ausschließlich der Gerichtshof erster Instanz zuständig - für eine Befassung des für Bestandsfragen zuständigen Bezirksgerichtes oder der mietrechtlichen Schlichtungsstelle lässt die Norm keinen Platz.

Die Klägerin hatte sich zwar primär auf Bestimmungen des Mietvertrages gestützt und nur am Rande auf Verletzungen des Datenschutzgesetzes. Darauf kommt es aber nicht an. Schließlich obliegt es dem Gericht zu überprüfen, auf welche Gesetzesbestimmungen ein geltend gemachter Anspruch gestützt werden kann. Im vorliegenden Falle geht es nicht primär um Bestandsfragen. Die Klägerin macht ausdrücklich auch Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen und das Recht auf Privatsphäre geltend.

Im Gesetz gibt es keine Bestimmung, die festhält, dass die Bestimmung des § 37 MRG, über die Zuständigkeit in Bestandssachen, der Zuständigkeitsbestimmung des DSG 2000 vorgeht. Auch aus fachlichen Gründen ist es unerwünscht, dass Grundrechtsfragen vor einer mietrechtlichen Schlichtungsstelle oder einem Bestandsrichter entschieden werden.

Der OGH hat verkannt, dass die Installation einer Videoüberwachung - ganz im Gegensatz etwa zur zitierten Alarmanlage - vor allem auch eine Frage des Grundrechts auf Datenschutz sowie der geschützten Privatsphäre ist. Dass vor Einleitung eines Gerichtsverfahrens weisungsgebundene Beamte mit solchen Verfahren befasst werden sollen, ist nicht nur absurd, sondern auch in Hinblick auf das in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Recht auf ein faires Verfahren fragwürdig.

Archiv --> http://ftp.freenet.at/beh/OGH_6Ob229_11m.pdf

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