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2007/11/14 Neuorganisation der StPO öffnet die Türe für „DNA-Massentests“
Ein weiterer Schritt weg von der Unschuldsvermutung hin zum gesetzlich indizierten Generalverdacht - ermöglicht werden die DNA-Massentest durch die Neuorganisation der Strafprozessordnung, welche bereits aus dem Jahre 2004 datiert, allerdings erst mit 1.1.2008 in Kraft tritt

Die Tatsache, dass ab kommendem Jahr im Rahmen polizeilicher Ermittlungen die Durchführung sogenannter „DNA-Massentests“ möglich wird, sorgte dieser Tage für Aufregung.


Ausgangslage

Seitens der Polizei zeigt man sich über die bevorstehende Gesetzesänderung erfreut und spricht von einer "geradezu sensationellen Möglichkeit, schwere Straftaten klären zu können". Bislang habe es keine rechtliche Basis für sogenannte Massenscreenings gegeben, was sich angeblich bei den Mädchenmorden in Wien-Favoriten (1989 bis 1990) bemerkbar gemacht habe.

Man verweist auf „Erfolge“ in Deutschland: So wurde 1998 in Niedersachsen ein Mörder nach 18.000 DNA-Tests an Männern aus der näheren Umgebung eines Ortes ausgeforscht.
"Ab 2008 ist auch in Österreich kein konkreter Verdacht notwendig, um ein Massenscreening durchzuführen", bejubelt man im Justizministerium die neue Bestimmung, um gleichzeitig zu beruhigen: "Alle anderen DNA-Proben werden nach dem negativen Abgleich mit Tatortspuren vernichtet".


DNA-Datensammlung bisher

In Österreich wurden im Rahmen des Aufbaus einer DNA-Datenbank, die beim Bundeskriminalamt geführt wird, zwischen 1997 und Ende 2005 insgesamt über 100.000 DNA-Spuren angesammelt. Die Verarbeitung der DNA-Daten erfolgt dabei mit Aufnahme biologischer Spuren, welche Täter bei ungeklärten Strafdaten hinterlassen haben könnten (sogenannte "Tatortspuren"). Daneben werden bei Tatverdächtigen im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung Lichtbilder angefertigt, sowie Fingerabdrucke und DNA-Spuren mittels sogenannter Mundhöhlenabstriche aufgenommen (MHA). Das Verhältnis von "Tatortspuren" und mittels MHA ermittelter Daten in der österreichischen DNA-Datenbank beträgt etwa 80 zu 20 zugunsten der MHA-Daten.

Eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der erfolgten DNA-Abnahmen wird mittels Stichproben durchgeführt. Im Jahr 2005 wurden dabei bloß 10 Datenaufnahmen von insgesamt 18.000 auf deren Rechtmäßigkeit überprüft. Bisher wurden die entsprechenden Datensammlungen somit ausschließlich aufgrund konkreter Verdachtsmomente erstellt.


Rechtliche Ausgangslage

Rechtliche Basis für die nunmehr geplanten Massentestverfahren ist § 123 Abs 2 der Strafprozessordnung zu „körperlichen Untersuchungen“. Sogenannte „körperliche Untersuchungen“ sind nun nicht mehr - wie bisher - daran gebunden, dass auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine Person Spuren hinterlassen hat, deren Sicherstellung und Untersuchung für die Aufklärung einer Straftat wesentlich sind. Eine körperliche Untersuchung ist nunmehr auch an Personen möglich, die einem durch „bestimmte Merkmale individualisierbaren Personenkreis“ angehören. Es muss nur auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen sein, dass sich der Täter in diesem – möglicherweise sehr großen - Personenkreis befindet.

Zulässig sind derartige Untersuchungen  künftig dann, wenn die Aufklärung einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Straftat oder eines Verbrechens nach dem 10. Abschnitt des Strafgesetzbuches andernfalls erschwert wäre.


Verfahrensrechtliche Vorgehensweise

Eine körperliche Untersuchung ist von der Staatsanwaltschaft auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen. Bei Gefahr im Verzug kann die Untersuchung vorläufig allerdings auch auf Grund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden. Für einen Mundhöhlenabstrich (MHA) benötigt die Kriminalpolizei keinerlei Bewilligung. Ergebnisse einer körperlichen Untersuchung, die aus anderen als strafprozessualen Gründen durchgeführt wurden, dürfen in einem Strafverfahren dann verwendet werden, wenn dies zum Nachweis einer Straftat, deretwegen die körperliche Untersuchung hätte angeordnet werden können, erforderlich ist.


Was ist eine körperliche Untersuchung ?

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass sich die erwähnte, neue Bestimmung nicht etwa nur auf Blutabnahmen und Mundhöhlenabstriche zur Gewinnung von DNA bezieht, sondern vielmehr alle Arten körperlicher Eingriffe regelt, welche zur Sicherstellung individualisierbarer Merkmale dienen. Operative Eingriffe und alle Eingriffe, die eine Gesundheitsschädigung von mehr als dreitägiger Dauer bewirken könnten, sind allerdings unzulässig. Ohne Einwilligung des Betroffenen darf nur eine Blutabnahme oder ein vergleichbar geringfügiger Eingriff - etwa ein Mundhöhlenabstrich- vorgenommen werden. Andere Eingriffe sind wiederum nur mit Einwilligung des Betroffenen zulässig.


Welche Delikte sind betroffen?

Zulässig sind derartige Untersuchungen künftig dann, wenn die Aufklärung einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Straftat oder eines Verbrechens nach dem 10. Abschnitt des Strafgesetzbuches andernfalls erschwert wäre. Unter die entsprechenden Bestimmungen fallen nicht nur Gewaltdelikte sondern etwa auch der Diebstahl, die Veruntreuung , der Betrug  oder die betrügerische Krida bei einem Beutewert von mehr als 50.000 Euro. Anders als in der medialen Darstellung oft vereinfachend gebracht, würden also keineswegs nur Delikte gegen Leib und Leben unter die entsprechende Regelung fallen, sondern eben auch Eigentumsdelikte ab einer bestimmten Schadenshöhe.


Grundsätzliche Kritik an Massenverfahren

Grundsätzlich kritisch ist zum geplanten Gesetzesvorhaben anzumerken, dass die entsprechende Bestimmung, welche eine verpflichtende Teilnahme an derartigen Tests vorsieht, hinsichtlich ihrer Anwendung äußerst unbestimmt ist. Die entsprechende Regelung zu einem „individualisierbaren Personenkreis“ erlaubt kaum eine Einschränkung der Personengruppe, welche zu einem entsprechenden Test verdonnert werden kann.

Etwa wäre aufgrund der entsprechenden Bestimmung auch eine verpflichtende DNA-Abgabe für alle Personen eines bestimmten Geschlechts denkbar. In  dieser Hinsicht ist mehr als fragwürdig, ob die einmal erhobenen Daten auch tatsächlich gelöscht würden, wenn sich herausstellt, dass jemand mit einer entsprechenden Straftat nichts zu tun hat. Vor allem Kostenargumente könnten auf längere Sicht dazu führen, dass die Politik zur Auffassung kommt, die einmal erhobenen DNA-Daten auch speichern zu wollen, anstatt ständige aufs neue kostenintensiv zu erheben. Das Endergebnis einer solchen Vorgehensweise wäre dann wohl eine zentrale DNA-Datenbank aller Bürger, in welcher vorratsweise sämtliche Proben gespeichert sind. Eine Vision, mit der sich Anhänger des Rechtsstaats wohl schwer anfreunden werden können.


Individualmerkmale bringen oft falsche Schlüsse mit sich

Allerdings zeigen Erfahrungen, dass auch Ermittlungsarbeit anhand individuellerer Merkmale wie etwa „Geschlecht“ oft zu falschen Schlüssen führt. Erst vor wenigen Tagen wurde etwa durch die Exekutive ein Tiroler Lehrer – aufgrund offenbarer „Personenähnlichkeit“ – im Klassenzimmer festgenommen und mit Handschellen abgeführt, da sich in der Nähe eine Sexualstraftat ereignet hatte und die Täterbeschreibung „passte“. Der Festgenommene hatte zwar mit der Tat im Endeffekt nichts zu tun, die Reputation ist aber oft trotzdem ruiniert. Ermittlungsarbeit alleine auf Personenmerkmale und auf eine Art „Ausschlussverfahren“ aufzubauen kann also durchaus problematische Resultate mit sich bringen. Insbesondere im Falle der eingangs beschriebenen „Favoritner Mädchenmorde“ ist weiters fragwürdig, welches individualisierbare Merkmal verwendet hätte werden können, um den Täterkreis einzuschränken.


Resumee

Die geplanten DNA-Massentests stellen neben der Vorratsdatenspeicherung einen weiteren Mosaikstein hinsichtlich einer Sicherheitspolitik dar, die nach dem Motto „Jeder ist verdächtig und hat seine Unschuld zu beweisen“ agiert. Ermittlungstätigkeit wird noch stärker auf sogenannte Sachbeweise verlagert, die jedoch im Gegensatz zu Zeugenaussagen oder zu Geständnissen, nur äußerst bescheidene Beweiskraft zukommt, jedoch von Betroffenen oft nur sehr schwer entkräftet werden können.

Es geht nicht mehr darum, dass eine Person aufgrund bestimmter Merkmale einer Straftat verdächtig ist und dies entsprechend untersucht wird. Vielmehr soll anhand eines „Schuss ins Blaue“ und unter intensiven Kosten versucht werden, auf gut Glück entsprechende Täter herauszufinden - dies in Zeiten, wo sonst in der Exekutive an allen Ecken und Enden gespart wird. Das Nachsehen haben dabei der Rechtsstaat und der einzelne Bürger.

mehr --> Ausufernde Grundrechtseingriffe ohne angemessene Sicherheitsvo...
mehr --> StPO §123 Körperliche Untersuchung
Archiv --> StPO neu - in Kraft seit 1.1.2008

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