2010/01/15 Vorratsdatenspeicherung - großes Echo auf ARGE DATEN - Aufruf
Zahlreiche negative Stellungnahmen zur Vorratsdatenspeicherung - Begehrlichkeiten von Justiz und Innenministerium ufern aus - sogar Datenschutzrat gegen derzeitigen Gesetzesentwurf - Rechtsstaat und staatliche Sicherheit durch Begehrlichkeiten massiv gefährdet - Keine Umsetzung solange nicht alle Zweifel an Rechtsstaatlichkeit beseitigt
Zahlreiche negative Stellungnahmen zur Vorratsdatenspeicherung
Enormes Echo verursachte der Aufruf der ARGE DATEN, Stellungnahmen zur Vorratsdatenspeicherung abzugeben. Waren es Ende letzter Woche nur gezählte zwei Stellungnahmen, kehrte sich diese Woche das Bild. Nach der ARGE DATEN - Stellungnahme, die als Dritte einlangte (http://www.parlament.gv.at/PG/DE/XXIV/ME/ME_00117/pmh.shtml), haben sich nunmehr 46 Organisationen und Personen meist kritisch bis ablehnend zum Gesetzesentwurf geäußert.
Darüber hinaus haben wir zahlreiche zustimmende Mails und Zusendungen zu unserer Position erhalten. Auch wenn mit 15.1.2010 die formelle Frist für Stellungnahmen abläuft, macht es Sinn auch in den nächsten Tagen und Wochen noch eine Stellungnahme abzugeben. Diese kann frei formuliert werden oder sich an unserer Stellungnahme orientieren (http://ftp.freenet.at/privacy/gesetze/stellungnahme-vorratsda...). Details zur Abgabe finden sich unter http://www.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGEDA....
Angesichts der Fülle der negativen Stellungnahmen bleibt zu hoffen, dass die Abgeordneten doch noch aufwachen und diesem Anschlag auf Verfassungsrechte ablehnen.
Begehrlichkeiten von Justiz und Innenministerium ufern aus
Wie jetzt bekannt wird, wollen Justiz und Innenministerium die Vorratsdatenspeicherung zu einem Generalangriff auf die Integrität und Grundrechte aller Bürger nutzen. Geht es nach den Vorstellungen dieser Ministerien, sollen in Zukunft alle auf Vorrat gespeicherten Daten für jegliche Form von Straf- und Zivilverfahren genutzt werden!
Bei noch so dubiosen Verdachtslagen soll es Klägern, egal ob Staatsanwälte oder private Organisationen, möglich werden, auf diese Daten zuzugreifen. Die Kopierindustrie soll sich dieser Daten ebenso bedienen können, wie der Nachbar von nebenan im Bassenastreit oder vermeintliche Stalkingopfer, sich beleidigt gebende Politiker oder Firmen, die Jagd auf "undichte Stellen" beim Vertuschen unsauberer Geschäfte machen (gegen sogenannte "Whistleblower"). Aktivitäten Keine Kontaktperson eines Journalisten kann sicher sein, nicht präventiv massiven Zivilklagen oder Strafanzeigen ausgesetzt zu sein.
In allen Fällen dürfte dann - nach den Phantasien von Justiz und Innenministerium - auf Vorratsdaten zurückgegriffen werden. Jeder soll jeden verdächtigen dürfen und zur Untermauerung sich der vorrätig gespeicherten Kommunikationsdaten bedienen dürfen. Statt der Unschuldvermutung, ein Grundwert unserer Gesellschaft, soll in Zukunft das Freibeweisen des Verdächtigen gelten.
Das Justizministerium versucht diesen beispielslosen Generalangriff auf Grundwerte unserer Gesellschaft, sogar noch als Vorteil der Beschuldigten zu verkaufen. "Es wäre doch besser", so ein leitender Vertreter des BMJ, "dass die Menschen Zivilklagen am Hals haben, denn dann müssten sie nur einen Schadenersatz zahlen und hätten keinen Eintrag im Strafregister. Lassen wir den Zugriff auf die Vorratsdaten für Zivilverfahren nicht zu, dann würden viel mehr Strafverfahren angezettelt werden."
Hans G. Zeger, Mitglied des Datenschutzrates: "Mit den Wünschen von BMJ und BMI, unverblümt in der letzten Datenschutzratssitzung dargelegt, wurden die schlimmsten Befürchtungen der Verfassungs- und Grundrechtsexperten bestätigt. Sind die Daten einmal gesammelt, werden sie zum Selbstbedienungsladen für jede Form gegenseitiger Verdächtigungen und Angriffe auf die persönliche und wirtschaftliche Integrität der Menschen."
Sogar Datenschutzrat gibt ablehnende Stellungnahme ab
Selbst dem regierungsfreundlichen und weitestgehend großkoalitionär organisierten Datenschutzrat waren diese ungeheurlichen Begehrlichkeiten zu viel. "Schluss mit lustig" kann als Resümee der Stellungnahme des Datenschutzrates zusammengefasst werden. Bevor nicht ein Gesamtkonzept vorliegt, welche Daten für welche Zwecke in Zukunft verwendet werden dürfen, wolle man sich nicht mit den Details des jetztigen Entwurfs beschäftigen. BMI und BMJ wurde aufgetragen, gemeinsam mit dem Verkehrsministerium einen ordentlichen, rechtsstaatlich vertretbaren Gesetzesentwurf zu erstellen.
Die nunmehr geäußerten Phantasien und Wünsche haben mit dem ursprünglichen Ziel der Vorratsdatenspeicherung, der Terrorismusbekämpfung nichts mehr zu tun. Die Republik darf nicht zu einem Daten-Selbstbedienungsladen für beliebige Verdächtigungen verkommen.
Rechtsstaat und staatliche Sicherheit massiv gefährdet
Die Umgehungsmöglichkeiten der Vorratsdatenspeicherung für "Menschen, die etwas zu verbergen haben" sind zahllos. Gespeichert werden die Daten der aufrechten Bürger, von Bürgern, die sich vielleicht über ihren Arbeitgeber beschweren, die politische oder wirtschaftliche Unregelmäßigkeiten melden wollen oder sich auch nur erkundigen wollen, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht. Fälle dazu gibt es ja, auch abseits von SKY-LINK, HYPO-ALPE-ADRIA, TIWAG, MEINL EUROPEAN LAND, genug. Jeder Internetbenutzer, der in Zukunft in einem Forum einen Politiker oder eine selbsternannte wirtschaftliche Elite attackiert muss mit Straf- und - härter noch - Zivilverfolgung rechnen.
Sind die Strafverfolgungsvoraussetzungen im StGB noch relativ streng umschrieben, so kann im Zivilverfahren die Schadenshöhe recht frei bestimmt werden. Eine negative Äußerung über ASFINAG, ÖBB und Co könnte dann schon eine Zivilklage gegen den Forumsposter in Millionenhöhe nach sich ziehen, der er schon deswegen klein beigeben muss, als er sich die Vorfinanzierung der Verfahrenskosten nicht leisten kann.
"Täter laufen frei herum, Bürger werden überwacht"
Auf dieses Motto lässt sich die Vorratsdatenspeicherung reduzieren. Die Vorratsdatenspeicherung wird echte Kriminelle mit Freude erfüllen. Kostet doch allein die Verwaltung des Systems und die Suche nach aussagekräftigen Daten viele hundert Millionen Euro und bindet die knappen Personalressourcen. Ressourcen, die bei der echten Kriminalitätsbekämpfung fehlen. Und so werden dann die Aufklärungszahlen für die "kleinen" Delikte (Einbruch, Raub, Betrug) weiter sinken und die großen Verbrechen (meist Finanz- und Steuervergehen) wird man - wie bisher - gar nicht durchschauen.
Weiters wird es immer leichter kriminelle Aktivitäten unter falschen IP-Adressen und Telefonnummern durchzuführen. Der letzte Hack der GSM-Verschlüsselung erlaubt es mittlerweile auch auf billigem Weg sich in fremde Handykommunikation zwischenzuschalten.
Hans G. Zeger: "Es gehört zu unserer Standardausbildung zum Datenschutzbeauftragten (http://www.argedaten.at/datenschutzbeauftragter.html), den Teilnehmern zu zeigen, wie leicht es ist über fremde Handys kriminelle SMS zu verschicken, in fremde Netzwerke einzudringen und unter falschen IP-Adressen kriminelle Aktivitäten zu setzen."
Längst werden Cyberangriffe über sogenannte Bot-Rechner gestartet. Die IP-Adresse ahnungsloser Internetbenutzer wird zum Versenden von Spam, Phishingmails, Drohungen oder für Hackerangriffe genutzt. Die Vorratsdatenspeicherung würde natürlich nicht die Daten der Hacker aufzeichnen, sondern bloß die IP-Adresse der ahnungslosen Computerbesitzer, die damit verdächtig und zum zweiten mal Opfer werden. Diesmal jedoch aufgrund staatlicher Willkür.
Rund zwei Millionen Computer sind allein in Österreich gefährdet für Cybercrime verwendet werden zu können. Allein in Wien existieren mindestens 10.000 offen private WLAN-Netze, die nach Belieben missbraucht werden können. Erfasst werden nur die ahnungslosen Besitzer.
Keine Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung
Die Regierung gefällt sich im Märchen, man müsse den Unsinn umsetzen, da es eine EG-Richtlinie sei und man ansonsten ein Vertragsverletzungsverfahren habe.
Ein Vertragsverletzungsverfahren kann zu jedem Zeitpunkt durch Herstellung eines vertragskonformen Zustandes - ohne Sanktionen - beendet werden. Es bleibt noch immer genügend Zeit für Österreich zu erklären, dass die Vorratsdatenspeicherrichtlinie eben nicht - mehr - dem EU-Vertrag von Lissabon und seiner Grundrechtscharta entspricht.
Zum anderen erwartet sich die Bevölkerung endlich zielführende Schritte für die tatsächlich drängenden sicherheitspolitischen Fragen, etwa eine verbesserte Aufklärung von Einbrüchen. Dazu sollten endlich sinnvolle Vorschläge auf den Tisch, statt populistische Geldvernichtung und Bürgerbespitzelung a la Vorratsdatenspeicherung.
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