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2014/04/08 EuGH kippt Vorratsdatenspeicherung - Österreich hat Anpassungsbedarf
Philipp Hochstöger, Hans G. Zeger
EuGH erklärt in Entscheidung C‑293/12 und C‑594/12 Richtlinie RL 2006/24/EG (VDS-RL) für ungültig - Begründung des Urteils folgt Schlussantrag des Generalanwalts - derzeitige VDS-RL verstößt gegen Grundrechtscharta - Ziel der Terrorbekämpfung jedoch grundsätzlich legitim - kein automatisches Ende der Vorratsdatenspeicherung in Österreich - neue Überwachungs-Richtlinie könnte kommen - Änderungen der Gesetzeslage in Österreich lassen auf sich warten

EuGH erklärt Richtlinie RL 2006/24 für ungültig

Das Urteil des EuGH erklärt die Richtlinie RL 2006/24/EG für ungültig. Zu keinem Zeitpunkt - seit ihrer Verabschiedung 2006 - bestand eine gültige Rechtsgrundlage für die Vorratsdatenspeicherung.

In diesem Punkt geht der EuGH über den Antrag des Generalanwalts hinaus, der "nur" eine Aussetzung der Ungültigerklärung vorgeschlagen hatte. Der EuGH führt aus, dass die Ungültigerklärung ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie wirksam ist.

Begründung des Urteils folgt Schlussantrag des Generalanwalts

In dem heute verkündeten Urteil folgt der EuGH in großen Teilen der Argumentationslinie des Generalanwalts. Der Gerichtshof bestätigt, dass die Richtlinie ein legitimes Ziel verfolgt, erklärt aber auch, dass der Gesetzgeber beim Erlass  der Richtlinie „Grenzen überschritten hat, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einhalten musste. (…) Sie beinhaltet einen Eingriff von großem Ausmaß und von besonderer Schwere in die fraglichen Grundrechte, ohne dass sie Bestimmungen enthielte, die zu gewährleisten vermögen, dass sich der Eingriff tatsächlich auf das absolut Notwendige beschränkt.“

Die Richtlinie definierte keine Bedingungen, wann und nach welchem Verfahren eine Auskunft von Vorratsdaten zulässig sei, weiters war die Speicherungsdauer zu undifferenziert und zu lange.


Keine direkte Auswirkung der Entscheidung auf Österreich

Zunächst sind die bisherigen Bestimmungen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Unabhängig davon ist der Nationalrat gefordert, aktiv zu werden und die weitreichenden Vorratsdaten-Bestimmungen im Telekommunikationsgesetz (TKG 2003), in der Strafprozessordnung (StPO) und dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG) außer Kraft zu setzen. Dies wäre ein wichtiges Zeichen, dass dem Gesetzgeber auch in Österreich Grundrechte wichtig sind.

Das hat aber keineswegs zur Folge, dass die alle Bestimmungen zur Vorratsdatenspeicherung im Telekommunikationsgesetz (TKG), Sicherheitspolizeigesetz (SPG) sowie in der Strafprozessordnung StPO völlig neu geschrieben werden müssen. Zieht man die vom EuGH herausgearbeiteten Grundsätze heran, wird es sich viel eher um Anpassungen handeln.


Speicherdauer könnte unverändert bleiben

Auch nach Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof oder nach Ausarbeitung einer neuen Richtlinie wird sich hinsichtlich der Speicherdauer für Österreich wahrscheinlich nichts ändern, da diese mit 6 Monaten im Rahmen der Vorgabe des EuGH liegt.


Änderungen beim Auskunftsverfahren nach StPO und SPG

Wie der EuGH in seinem Urteil kritisiert, „enthält die Richtlinie keine materiell- und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den Daten und deren späterer Nutzung. Vor allem unterliegt der Zugang zu den Daten keiner vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle.“ Außerdem sehe die RL keine objektiven Kriterien vor, die den Zugang auf die Vorratsdaten beschränken. Der Gerichtshof spricht damit die fehlende Konkretisierung des Begriffes der „schweren Straftat“ an.

Im Lichte der Kritik durch den EuGH, wäre das Auskunftsverfahren nach der Strafprozessordnung (StPO) wohl in Ordnung, da die Straftatbestände des § 135 Abs. 2 Z 2 bis 4 genau beschreiben unter welchen Voraussetzungen (z.B. Strafdrohungsgrenze von 6 Monaten bzw. einem Jahr)  eine Auskunft über Vorratsdaten zulässig ist. Außerdem muss eine gerichtliche Bewilligung vorliegen. § 76a Abs. 2 StPO wäre jedenfalls zu überarbeiten. Da für Auskünfte über Vorratsdaten nach dieser Bestimmung weder eine Strafdrohungsgrenze vorausgesetzt, noch eine richterliche Genehmigung notwendig ist, wird der österreichische Gesetzgeber nach Inkrafttreten einer neuen Richtlinie, Anpassungen vornehmen müssen.

Das Auskunftsverfahren von Vorratsdaten nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG)wird einer grundlegenderen Überarbeitung bedürfen. §§ 53 Abs. 3a und 3b SPG sehen keine Einschränkungen auf bestimmte Delikte vor. Die in § 53 Abs. 3a Z 2 und Z 3 vorgesehenen Beschränkungen könnten auf Grund des sehr weiten Anwendungsbereichs, den vom EuGH geforderten Kriterien nicht entsprechen. Es wird in § 53 Abs. 3a Z 2 und Z 3  lediglich festgehalten, dass Sicherheitsbehörden berechtigt sind Auskunft über Vorratsdaten zu verlangen, wenn sie diese zur Abwehr eines gefährlichen Angriffs (§ 16 Abs. 1 Z 1) oder einer kriminelle Verbindung (§ 16 Abs. 1 Z 2) benötigen. Ein gefährlicher Angriff iSd § 16 SPG ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen wird.

Dabei genügt jeder Straftatbestand aus dem Strafgesetzbuch oder beispielweise dem Suchtmittelgesetz. Diese „Einschränkungen“ sind wohl nach Prüfung der Verfassungsmäßigket der bisherigen Normen durch den VfGH bzw. nach Inkrafttreten einer neuen Richtlinie grundlegend zu überarbeiten.


Resümee

Obwohl es über kurz oder lang, nach Ausarbeitung einer neuen RL zu einer Verbesserung der österreichischen Gesetzeslage kommen wird, bleiben zahlreiche Bedenken nach diesem Urteil. Das Urteil ist zwar sehr erfreulich, keineswegs darf das Urteil mit einer derartigen Euphorie gesehen werden, wie das durch manche österreichische Medien kommuniziert wird. Der EuGH hat mit diesem Urteil die Vorratsdatenspeicherung endgültig als legitimes Mittel anerkannt. Er hat zwar die Richtlinie für ungültig erklärt, die Vorratsdatenspeicherung an sich aber als zulässiges Mittel bestätigt. Er verkennt dabei, dass ein derart massiver Eingriff in die Grundrechte sämtlicher Unionsbürger nicht zu rechtfertigen sein kann. Jetzt ist aber erstmal der Nationalrat gefordert aktiv zu werden und die überschießenden Regelungen aufzuheben.

mehr --> EuGH-Urteil C-293/12 und C-594/12 Aufhebung der Vorratsdatenspeicherrichtlinie
mehr --> Pressemitteilung des EuGH
mehr --> Vorratsdatenspeicherung auf dem Prüfstand vor dem EuGH
mehr --> Schlussantrag des EuGH Gereralanwalts
mehr --> EuGH Urteil in den verbundenen Rechtssachen C‑293/12 und C‑594/12
mehr --> Zusammenstellung - alle Informationen zur Vorratsdatenspeicherung
Archiv --> RL 2006/24/EG Vorratsdatenspeicherungs-RL
andere --> RIS: Strafprozeßordnung 1975 (StPO)
andere --> EuGH: 13.03.2012 RS C-380/09 P
andere --> Charta der Grundrechte

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