2010/01/28 Europäischer Datenschutztag 28.1.2010 - Kein Grund zum Feiern
Eine mehr als ernüchternde Bilanz zogen die offiziellen Festredner zum Datenschutztag im Bundeskanzleramt - Professor Funk weist in eine düstere Zukunft des sozialen Scorings - Zentrale Themen waren Vorratsdatenspeicherung und der Kotau des Europäischen Rates vor den Datenwünschen der USA (SWIFT-Abkommen) - Endlose Liste von offenen Menschenrechts- und Privatsphärefragen - droht 30 Jahre nach Start des DSG ein völliges Scheitern?
Festredner Professor Funk bei Datenschutz-Tagung im Bundeskanzleramt
Der internationale Experte für Staats- und Verwaltungsrecht zeichnete ein äußerst düsteres Bild unserer gegenwärtigen Gesellschaft. "Wir befinden uns mitten im Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft. Dies führt zur Abkehr von der Unschuldsvermutung zum Prävntivverdacht." Damit wird nicht mehr unerwünschtes, rechtswidirges Verhalten sanktioniert, wie dies in allen Zivilisationen üblich ist, sondern es entstehe ein Kontrolldruck, ein Zwang zu Konformismus und ein soziales Scoring zuungunsten von Minderheiten. Informationen und Daten die abweichendes, aber deswegen noch nicht illegales Verhalten dokumentieren können aus dem Zusammenhang gerissen werden und zu fehlerhaften Interpretationen und Konsequenzen führen.
Mechanismen, wie die Speicherung der IP-Adresse im Internetverkehr führten zu einem funktional ausreichenden Personenbezug und damit zu einem Eindringen in die Privatsphäre, auch wenn die formale Identität einer Person nicht vollständig bekannt ist.
Mahnende Worte aller Redner
Selbst Staatssekretär Ostermayer, im letzten Jahr noch glühender Verfechter von mehr Überwachung und mehr Grundrechtseingriffen (http://www.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGEDA...), fand diesmal zumindest zum SWIFT-Abkommen zwischen EU und USA kritische Worte. Noch einen Tag vor Inkrafttreten des Lissabonvertrages wurde das Abkommen durch den Ministerrat "genehmigt".
Selbst eine unermüdliche Verteidigerin des Status Qou in Sachen Datenschutz, wie Frau MR Kotschy, fand im Zusammenhang mit SWIFT klare Worte. Sie sprach hier von einer Gefährdung des Datenschutzes und der Grundrechte durch die Gesetzgebung.
Einig waren sich Abgeordneter Maier (SP/Datenschutzrat) und MR Kotschy (Datenschutzkommission) in der Forderung nach einem neuen Arbeitnehmerdatenschutzgesetz und betrieblichen Datenschutzbeauftragten bei Unternehmen ab einer gewissen Größe. Nicht erwähnt wurde jedoch, dass es die SPÖ war, die durch das Regierungsübereinkommen genau diese Punkte aus der jetztigen Datenschutznovelle herausgestrichen hat.
Kritisch war die Aussage von MR Kotschy, dass es in Zukunft im Internet ein voraussetzungsloses Löschungsrecht geben soll. Ein Vorschlag der als Anschlag auf die Meinungsfreiheit interpretiert werden könnte, ein gemäß Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht. Die Politik wird sich sehr wohl die Mühe machen müssen in der Balance zwischen Privatsphäre (Art. 8), Meinungsfreiheit (Art. 10) und wirksamem Rechtsschutz (Art. 13) einwandfreie und moderne Gesetze zu beschließen, die einer entwickelten Informationsgesellschaft würdig sind.
Heiße Kartoffel "Vorratsdatenspeicherung"
Einhellige Meinung der Redner war, dass die Vorratsdatenspeicherung Grundrechte verletzt. Keinen Konsens gab es, wie sich Österreich bei diesem Gesetz verhalten soll. Einzig Abgeordneter Maier konnte sich dazu durchringen, vorerst das Gesetzesverfahren auf Eis zu legen und Entscheidungen in Deutschland und Brüssel abzuwarten. Dies sei aber nicht Regierungsmeinung, nicht einmal die der SPÖ, sondern bloß seine persönliche Meinung, fügte er auf Nachfrage hinzu.
Die offizielle Position des Datenschutzrates, ein Kompromiss der Interessensvertreter, lehnt ja die Vorratsdatenspeicehrung nicht grundsätzlich ab, sondern verlangt eine Neuevaluation der Richtlinie unter Berücksichtigung der seit Dezember 2009 geltenden EU-Grundrechtscharta.
SWIFT-Abkommen beschädigt den Rechtsschutz der EU-Bürger
Inhalt des Abkommens ist im Wesentlichen, dass alle Finanztransaktionsdaten die über SWIFT laufen ohne jeglichen Rechtsschutz der Bürger an die USA ausgeliefert werden. Dies betrifft nicht nur die meisten internationalen Transfers, sondern auch alle sogenannten EU-Standardüberweisungen, die immer mehr Banken auch im Nationalen Geldverkehr verwenden.
Das ganze Abkommen ist ein klarer Anschlag auf die Grundrechte der EU-Bürger. Europäische Grundwerte, wie Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) und wirksamer Rechtsschutz (Art. 13 EMRK) werden mit diesem Abkommen mit Füßen getreten.
Einen Tag später wäre das Abkommen nicht mehr möglich gewesen. Zuständig wäre das Europäische Parlament geworden, das sich mehrfach gegen diese rechtlose Auslieferung von Finanzdaten ausgesprochen hatte.
"Österreich war dagegen", versteigt sich der Abgeordnete Maier in einer Wortmeldung zum SWIFT-Abkommen. Welches Österreich er wohl meinte? Die offizielle Vertreterin Österreichs, Innenministerin Fekter machte das, was Österreichs Politiker am besten können. Sie verweigerte eine Positionierung und machte durch ihre Stimmenthaltung den Weg zu diesem Abkommen frei. Einmal mehr wurden die EU-Bürger in ihren Rechtsschutzinteressen von der Europäischen Union verraten.
Besserer Datenschutz durch Technik?
Etwas naiv muteten die Ideen mancher Festredner an, was eine Verbesserung der Grundrechte durch mehr Technik betrifft. "Gegen technische Begrenzungen in der Datenverwendung kann nicht verstoßen werden, gegen rechtliche schon", war das zentrale Statement von Abgeordneten Maier.
Nun, jeder Techniker wird zeigen können, wie leicht es ist technische Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen. Sind sie tatsächlich stark und praktisch unüberwindlich, dann führen sie zu einem Stillstand der Informationsgesellschaft bzw. zu einer totalen Überwachung aler Nutzer der Informationstechnik.
Die einzig erfolgversprechende Strategie sind moderne, klar formulierte Gesetze auf Basis der Grundrechte, effektive Kontrollbehörden, die auch kollektive Grundrechte sichern, klare Strafbestimmungen bei Rechtsverletzungen, klare Beweisverwertungsverbote bei unrechtmäßig beschafften Daten und eine intensive internationale Zusammenarbeit bei transnationalen Datenschutzverletzungen, wie sie im Internet üblich sind. Nichts davon existiert - 30 Jahre nach Beginn des "Datenschutzes" - in Österreich.
Immer mehr Bereiche bleiben ungeregelt
Die wichtigsten Entwicklungen und Probleme der Informationsgesellschaft bleiben weiterhin ungeregelt. Ganz besonders ärgerlich ist, das Fehlen jeder Regelung zu Internet und Web2.0. Weitere Themen sind RFID (Radio Frequency IDentification), die Nutzung biometrischer Daten und der Einsatz von Scoringmethoden. Gemeinsam ist diesen neuen Techniken, dass Betroffene unbemerkt Datenspuren hinterlassen und diese Daten nicht immer präzise und eindeutig sind. Datenverarbeiter, denen Grundrechte und Datenschutz ein besonderes Anliegen sind, hätten sich nach dem deutschen Vorbild auch eine Regelung für das Auditing datenschutzkonformer Datenanwendungen gewünscht.
Alles Themen, bei denen Österreich trotz vieler Worte und trotz Datenschutztag seit Jahren säumig ist.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Hoffnung machen einige Mitglieder der neuen EU-Kommission, die feststellen "EU-Bürger sind keine Objekte mit denen nach Belieben umgegangen werden kann, sondern menschliche Wesen mit Grundrechten" und die auch schon eine Verbesserung des europäischen Datenschutzrechts in Aussicht stellen.
Und vielleicht ist der SWIFT-Kotau für manche EU-Bürokraten jenes Damskus-Erlebnis, dass zu einem Umdenken auf EU-Ebene führt. Ebenso wie die nunmehr weit über 170, mehrheitlich negativen Stellungnahmen gegen die Vorratsdatenspeicherung (http://www.parlament.gv.at/PG/DE/XXIV/ME/ME_00117/pmh.shtml), die Österreichs Politikern Mut machen könnten, dass auch mit Grundrechten Wähler zu gewinnen sind und nicht bloß mit Paranoia und Angst.
In diesem Sinn kann es 2010 nur noch besser werden. Oder ... ?
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