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2006/10/12 Nach der Wahl ist vor der Reform
Grundrechte ernst nehmen, Bürgerüberwachung verhindern, Verwaltung modernisieren - Österreich hat enormen Aufholbedarf in Sachen moderner Datenschutz - Institutionenreform notwendig - EU-Vertragsverletzungsverfahren rasch beenden - Videoüberwachung endlich grundrechtskonform regeln - keine Vorratsdatenspeicherung einführen

Die Wahlergebnisse stehen fest, die Koalitionskarten sind verteilt. Zeit auch über Reformvorhaben im Grundrechtsbereich nachzudenken.

In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Grundrechtseingriffen beschlossen, die zu mehr Überwachung der Menschen führen, den Steuerzahler viel Geld kosten und keinerlei gesamtgesellschaftlichen Nutzen bringen. Bei einer Fülle von Gesetzen besteht dringender Reformbedarf, ein Teil sollte ersatzlos gestrichen werden. Die ARGE DATEN hat in Sachen Grundrechte die wichtigsten Problemfelder zusammen gestellt, eine neue Bundesregierung ist dringend zu Reformen gefordert.


Bildungsdokumentationsgesetz

Dieses Gesetz führt zu lebenslanger Aufzeichnung von Schuldetails, von denen bisher niemand begründen konnte, welcher bildungspolitische oder bildungsplanerische Nutzen damit verbunden sein konnte. Eine ersatzlose Streichung der Bestimmung würde mehrere Millionen EURO pro Jahr freimachen, Geld, das derzeit für Integrationsmaßnahmen, zusätzlichen Deutschunterricht und Förderunterricht fehlt.
--> Abschaffungsbedarf


Gesundheitstelematikgsetz

Das Gesundheitstelematikgesetz sieht die elektronische Vernetzung aller Gesundheitseinrichtungen mittels Sozialversicherungsnummer vor. Aber auch Behörden, Privatversicherer und Pharmaunternehmen hätten dann Zugang zu Patientendaten. Im Gesetz wurden keinerlei Mindeststandards zum Datenschutz, etwa Protokollierungspflichten, Kontrollinstanzen und Informationspflichten der Patienten vorgesehen. Statt dem überwachten Bürger könnte durch sinnvolle Datenschutzmaßnahmen  ein innovativer Zugang zum eigenen Gesundheitsakt realisiert werden.
--> hoher Reformbedarf


Registerzählungsgesetz

Unbemerkt von der Bevölkerung wurde vor rund einem Jahr das Registerzählungsgesetz geschaffen, das es erlaubt alle Bürgerdaten der verschiedensten Behörden miteinander zu verbinden. Eine Spielwiese von technikverliebten Statistikern, die viele Millionen Euro kostet. Gesundheitsdaten sind davon genauso betroffen, wie Steuer- und Einkommensdaten, Daten zur Wohnung, zur Ausbildung und zum Beruf. Diese Datenzusammenfassung ist weder durch den Finanzausgleich, noch durch EU-Statistikvorgaben gerechtfertigt.
--> Abschaffungsbedarf


e-Government-Gesetz

Mit der zwangsweisen Einführung von Bürgerkarte und Bürgerkennzeichen soll der gläserne Bürger automatisiert möglich werden. Metadatenbanken sollen sicherstellen, dass Behördendaten unterschiedlichster Bereiche automatisiert zusammengeführt, abgeglichen und zur Überwachung genutzt werden können. Statt wie bei Beschluss des Gesetzes angekündigt zu einer Verbesserung des Behördenzugangs zu kommen, stellt sich das e-Government-Gesetz mehr und mehr als Bremse für neue Behördendienste heraus. Eine Streichung der Bürgerkarten- und Bürgerkennzeichenbestimmungen würde die Blockade in der eGovernment-Nutzung beheben.
--> hoher Reformbedarf


Gewerbeordnung

Mit §151 der Gewerbeordnung haben sich Österreichs Datenhändler ein europaweit einmaliges Privileg zugelegt. Ohne Zustimmung der Betroffenen dürfen Daten über sie gehandelt werden. Dies führt auch dazu, dass diese Daten an Wirtschaftsauskunftsdienste verkauft werden, Menschen in ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten beschränkt werden und sensible Daten zu Marketingzwecken verwendet werden. Beides offensichtlich EU-widrig. Eine Streichung dieses Datenhandelsprivilegs ist überfällig.
--> hoher Reformbedarf


Datenschutzgesetz

Fast sechs Jahre Praxis haben enorme Lücken im Datenschutz offenbart. Sowohl die Informationsrechte der Bürger, aber auch neue technische Entwicklungen, wie das Internet, wurden nicht ausreichend berücksichtigt. Auch Fehler in der Umsetzung der EG-Richtlinie werden immer deutlicher. Auch die Einführung betrieblicher Datenschutzbeauftragter ist dringend erforderlich. Eine Generalsanierung des Gesetzes ist dringend erforderlich.
--> hoher Reformbedarf


Verwaltung modernisieren

Kläglich gescheitert ist das Bürgernummerierungs- und Bürgerüberwachungsprogramm, wie es im e-Government-Gesetz festgeschrieben ist. Mit dem 2004 beschlossenen Gesetz sollen alle Behördenabläufe in Österreich mit einer gleichartigen Personenkennziffer ausgestattet werden, jeder Bürger mit einer Bürgerkarte ausgestattet werden. Bürger die Behördenwege in klassischer Form absolvieren wollen, sollen in Zukunft mit einer Behördenabgabe bestraft werden.

Gescheitert ist das Konzept bisher an der technischen Unausgereiftheit der Bürgerkarte, der umständlichen und teuren Umsetzung bei den Behörden und am Widerstand der Bevölkerung die Bürgerkarte anzunehmen (gerade 8.000 von 8 Millionen  e-Card-Besitzer haben sich eine derartige Bürgerkarte zugelegt).

Wie schrieb der SP-Abgeordnete CAP an die ARGE DATEN?
"Die SPÖ wird natürlich, so sie Regierungsverantwortung durch die WählerInnen übertragen bekommt, umgehend eine Reparatur des misslungenen Gesetzes in Angriff nehmen." (22.3.2006) - lassen wir uns überraschen.

Gerade eine funktionierende Vernetzung der Behörden untereinander und eine durchdachte Informationspolitik wäre eine Chance, dem Bürger den Zugang zu amtlichen Informationen zu erleichtern. Dazu sind jedoch weder Bürgerkarten noch Zwangspersonenkennzeichen notwendig.


Institutionenreform notwendig

Auch eine Reihe von Institutionen, die für die grundrechtskonforme Verwendung von Bürgerdaten verantwortlich sind, ist zu reformieren.

Problemfall I: Datenschutzkommission

Schon seit einiger Zeit läuft ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich wegen mangelnder Unabhängigkeit der Datenschutzkommission.

Dies sowohl aus materiellen Gründen, die Datenschutzkommission ist weit unter dem EU-Durchschnitt besetzt, als auch aus formalen Gründen. Zwischen Bundeskanzleramt und Datenschutzkommission bestehen undurchsichtige organisatorische und personelle Verstrickungen, die aus einer Aufsichtsstelle bloß einen verlängerten Arm des jeweiligen Bundeskanzlers macht. Mit katastrophalen Auswirkungen auf die Bürger, wie lange Verfahren, undurchsichtige Entscheidungen und fragwürdige Prüfmethoden.

Ein weiteres EU-Beschwerdeverfahren gegen die DSK läuft auch, weil die DSK im Zusammenhang mit dem e-Government-Gesetz gleichzeitig Datenverarbeiter und Aufsichtsstelle ist, eine geradezu klassische Unvereinbarkeit.

Eine Neugründung der Datenschutzkommission mit ausreichender personeller Besetzung, genügenden technischen Ressourcen und eigenem Budget ist unerlässlich.

Problemfall II: Statistik Austria

Der Name des vormals "Statistischen Zentralamts" wurde zwar vor einigen Jahren geändert, der Geist als zentralistisches Reichsamt für Evidenz- und Registerangelegenheiten ist nach wie vor vorhanden.

Statt zwangsweise Massenerhebungen, wie Volkszählung, Bildungsevidenz, Einkommensevidenz und Mikrozensus, sollte eine schlanke Einrichtung demoskopische Dienstleistungen nach Vorbild professioneller Markt- und Meinungsforschungseinrichtungen anbieten. Soweit wie möglich sollten dazu anonymiserte Behördenbestände herangezogen werden oder im Einzelfall Interviews von Bürgern auf freiwilliger Basis gemacht werden.

Neben großen Kostensenkungen (rund 30 Mio. pro Jahr sind möglich), wären die Ergebnisse rascher, aktueller und mit ausreichender Genauigkeit verfügbar.

Problemfall III: IKT-Leitstelle des Bundeskanzleramtes

Geschaffen wurde diese Informationsleitstelle zur Koordinierung der IT-Angelegenheiten des Bundes und in gewisser Weise auch der Bundesländer. Neue Konzepte sollten effizientere Verwaltung, mehr Transparenz und verbesserte Informationen für die Bürger bringen. Nach nunmehr sieben Jahren macht sich Ernüchterung breit.

Die Stabstelle ist zur Spielwiese universitärer und außeruniversitärer Techniker verkommen, die mit Hilfe von enormen Steuergeldern ihre eigenen Privat-Entwicklungen und fragwürdige technische Produkte Politikern und Beamten als Non-Plus-Ultra für die Verwaltung verkaufen. Die Stabstelle beschäftigt sich praktisch nur mehr mit dem gescheiterten Bürgerkartenkonzept.

Fragen der Transparenz, der Bürger- und Benutzerfreundlichkeit, des Datenschutzes und der Informationsfreiheit, aber auch neue Entwicklungen im Bereich Open Source fielen unter den Tisch.

Die verantwortlichen Positionen sollten neu ausgeschrieben und vergeben werden, Qualifikationen im Bereich Technologiefolgeabschätzung, Datenschutz und IT-Usability sollten unbedingt Anstellungsvoraussetzung werden.


Videoüberwachung endlich grundrechtskonform regeln

Es ist eines Rechtsstaats unwürdig, dass ein derartig großer Teil an technischer Überwachung, wie es die Videoüberwachung darstellt völlig ungeregelt ist. Eine Videobestimmung könnte die Voraussetzungen zur Videoüberwachung definieren, ihre Einsatzbereiche, die Kennzeichnungspflicht und bei Übertretungen Verwaltungsstrafen vorsehen. Mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren wäre es auch bei bisher installierten Einrichtungen zumutbar, sie dem Nivau eines demokratischen Landes anzupassen oder zu demontieren.


Keine Vorratsdatenspeicherung einführen

Im März 2006 kam es zum EU-Beschluss der Vorratsdatenspeicherung für Telefon- und Internet-Verbindungsdaten. Die aufgezeichneten Daten sollten nicht nur für die Terrorbekämpfung verwendet werden, wie anfangs behauptet, sondern für jede Form der Internetkriminalität, etwa bei Musik- und Softwaredownload. Österreich hat 18 Monate Zeit den Beschluss umzusetzen, andere EU-Länder bezweifeln jedoch die Rechtmäßigkeit des Beschlusses und haben Klage dagegen beim EUGH erhoben. Eine Aufhebung, ähnlich wie die Fluggastdatenvereinbarung ist wahrscheinlich.

Österreich sollte keinesfalls diese Bürgerüberwachung einführen und jedenfalls gemeinsam mit anderen Staaten auf einen Widerruf des Beschlusses hinarbeiten.


Grundrechte wieder sichern

Die nächsten Wochen werden zeigen, ob Grundrechte und ihre Sicherung einer neuen Regierung ein demokratisches Anliegen sind oder bloß ein Leichtgewicht im koalitionären Pocker um die Macht, beliebig austauschbar und letztlich bloß für ein Bauernopfer gut.

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