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2008/01/07 Biobanken, menschliche Ersatzteillager und Organverwertung
Österreich pflegte schon bisher einen lockeren Umgang mit Organspenden und Gewebeentnahmen - Weitgehend unbemerkt wird dieser lockere Umgang mit menschlichem Gewebe prolongiert - vorgesehene Teil-Widerspruchslösung stellt keine ausreichende Sicherung der Grundrechte dar - Zustimmungslösung weltweit im Vormarsch - Österreichs Husch-Pfusch-Gesetz vom Dezember 2007 offensichtlich nicht EU-konform - Rechtssicherheit für Spender und Angehörige notwendig

Sind Organspenden, Zell- und Gewebeentnahmen in Österreich ausreichend geschützt?

Der Handel mit menschlichen Materialien wurde zu einem der lukrativsten Geschäftszweige im Health-Bereich. Viele denken dabei nur an Organtransplantationen, die aber letztlich nur als ultima ratio eines medizinischen Eingriffs anzusehen sind. Wesentlich verbreiteter, aber in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt ist die geradezu industrielle Nutzung von Blut, Knochen und anderen Gewebeteilen. Beliebt sind etwa Human-Prothesen, die aus Leichenknochen gefräst sind. Leichen werden geradezu ausgehöhlt und dann mit Füllstoffen versehen den trauernden Verwandten übergeben. Zuletzt wurden derartige Fälle mitten in der EU, in Lettland, dokumentiert, beteiligt war eine deutsche Firma.

Österreich ist bekanntermaßen eines der Länder, welches hinsichtlich des Schutzes der Organe und Gewebe Verstorbener einen ziemlich lockeren Umgang an den Tag legt. Während in vielen europäischen Staaten die sogenannte „Zustimmungslösung“ gilt, setzt der österreichische Gesetzgeber auf die „Widerspruchslösung“, um eine ausreichende Versorgung mit transplantationsfähigen Organen zu ermöglichen.


Zustimmungs- versus Widerspruchslösung

Im Grundsatz unterscheidet die Rechtstheorie zwei Modelle hinsichtlich des Umgangs mit der Entnahme von Organen bei Verstorbenen: Zustimmungs- bzw. Widerspruchslösung. Während im Falle der Zustimmungslösung Organentnahmen ausschließlich dann zulässig sind, wenn eine aktive Zustimmung des Verstorbenen zu Lebzeiten vorliegt, erlaubt die Widerspruchslösung entsprechende Entnahmen schon dann, wenn der Betroffene nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. Diese zwei Grundmodelle werden durch die sogenannten „erweiterten Lösungen“ ergänzt, bei denen auch die Angehörigen des Verstorbenen mit einbezogen werden, und die Zulässigkeit entweder von einer ausdrücklichen Zustimmung der Angehörigen („erweiterte Zustimmungslösung“) oder einem ausdrücklichen Widerspruch der Familie („erweiterte Widerspruchslösung“) abhängig gemacht werden. Hier kann wiederum auch danach unterschieden werden, ob die Angehörigen vorab über die geplante Entnahme informiert werden bzw. selbst aktiv werden müssen. Weitgehend abgelehnt wird hingegen eine Lösung, welche Organentnahmen an Verstorbenen jedenfalls – unabhängig von einem Widerspruch - erlaubt.


Österreichische Lösung zu den Organtransplantationen

Nach § 62a des Kranken- und Kuranstaltengesetzes ist es zulässig, Verstorbenen einzelne Organe oder Organteile zu entnehmen, um durch deren Transplantation das Leben eines anderen Menschen zu retten oder dessen Gesundheit wiederherzustellen.

Die Entnahme ist hingegen unzulässig, wenn den Ärzten eine Erklärung vorliegt, mit der der Verstorbene oder, vor dessen Tod, sein gesetzlicher Vertreter eine Organspende ausdrücklich abgelehnt hat. Eine Erklärung liegt auch vor, wenn sie in dem beim Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen geführten Widerspruchsregister eingetragen ist.

Faktisch bedeutet dies: Widersprochen kann werden, indem man eine entsprechende Erklärung immer „bei sich hat“ – wobei hier das Risiko besteht, dass diese möglicherweise nicht aufgefunden wird - bzw., indem man sich beim Bundesinstitut für Gesundheit in das entsprechende Register eintragen lässt. Verboten ist allerdings jedenfalls eine „Verunstaltung“ des Leichnams. Weitere Schranken bestehen darin, dass derjenige Arzt, welcher den Tod des Betroffenen festgestellt hat, nicht in die Entnahme miteingebunden sein darf, sowie einer Beschränkung der Entnahmen auf Krankenanstalten. Eine Einbeziehung in Rechtsgeschäfte, die auf Gewinn gerichtet sind, ist gleichfalls verboten. („Organhandelverbot“)


Grenzen der Zulässigkeit der Organentnahme

Zu beachten ist, dass die entsprechende Zweckbindung durch die Justiz streng ausgelegt wird. In der Entscheidung 10 Os 104/86 des OGH wurde festgehalten, dass die im Anschluss an eine Obduktion vorgenommene Entfernung eines – wenn auch quantitätsmäßig unbedeutenden und unauffälligen Leichenteils -  zum Zweck seiner pharmazeutisch-industriellen Verwertung ohne zu Lebzeiten erteilte Zustimmung des Verstorbenen im Sinn des § 190 Abs 1 StGB strafbar und nicht durch die Erlaubnis nach § 62 a KAG abgedeckt ist. Wer außerhalb der Erlaubnis des § 62 a KAG entsprechende Organentnahmen durchführt, verstößt daher gegen die Strafbestimmung der „Störung der Totenruhe“ und ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

Festzuhalten ist jedenfalls, dass die entsprechende Regelung den Verstorbenen unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit trifft. Verstirbt daher in Österreich ein fremder Staatsbürger, der möglicherweise aus einem Staat, in welchem die Zustimmungslösung gilt, stammt, ist die Entnahme – ohne Widerspruch - dennoch zulässig. Das ist insoferne überaus problematisch, als vor allem bei kurzzeitig in Österreich aufhältigen Personen jedenfalls nicht erwartet werden kann, dass diese ihren Tod einkalkulieren und sich rechtlich informieren und einen entsprechenden Widerspruch abgeben.


Österreich im Vergleich - pro und contra

Mit der Widerspruchslösung befindet sich Österreich in der Gesellschaft von Luxemburg, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn. Die restlichen europäischen Staaten setzen dagegen auf erweiterte Zustimmungslösung bzw. erweiterte Widerspruchslösung, binden daher die Angehörigen in die Entscheidung – im Gegensatz zum österreichischen Gesetzgeber - ein. Während in der DDR auf die Widerspruchslösung gesetzt wurde, gilt in Deutschland heute die erweiterte Zustimmungslösung.

Gegner der Widerspruchsregelung verweisen darauf, dass es letztlich jedem selbst überlassen sei, ob er Organe spenden wolle oder nicht und das Recht, über den eigenen Körper zu disponieren, auch über den Tod hinaus Geltung haben sollte. Befürworter der Widerspruchslösung verweisen dagegen auf die langen Wartelisten bei Organspenden. Weiters wird an der erweiterten Zustimmungslösung kritisiert, dass lediglich ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung einen Spenderausweis ausgefüllt habe. Komme es zu der Situation, dass der Spender hirntot ist, seine Organe aber transplantiert werden könnten, müssten Ärzte die Angehörigen um eine Erlaubnis noch auf der Intensivstation fragen, was aus Pietätsgründen häufig nicht erfolge.


Gewebeentnahmen - Richtlinie 2004/23/EG

Die entsprechende Richtlinie 2004/23/EG regelt die Zulässigkeit der Entnahme und Verwendung von bestimmten menschlichen Geweben und Zellen. Nicht erfasst sind allerdings ausdrücklich Organe oder Teile von Organen, wenn sie zum gleichen Zweck wie das ganze Organ im menschlichen Körper verwendet werden sollen ("Transplantationsbestimmung"). Das bedeutet: Gewebe und Zellen, welche Teile eines Organs bilden, sind von den Bestimmungen der EG-Richtlinie nur dann ausgenommen, wenn sie – zusammen - den gleichen Zweck wie das gesamte Organ erfüllen sollen. Ansonsten fällt die Entnahme entsprechender Zellen und Gewebe unter diese Richtlinie.

Der österreichische Gesetzgeber hat den Organbegriff nicht speziell geregelt, sondern in den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage wurde nur erwähnt, dass der Organbegriff in medizinischem Sinn zu verstehen ist. Das „Medizinische Handwörterbuch“ definiert Organe folgendermaßen: „aus Zellen und Geweben zusammengesetzte Teile des Körpers, die eine Einheit mit bestimmter Funktion bilden“. Somit sind grundsätzlich auch „Zellen und Gewebe“ Organteile, welche nach § 62 a KAG entnommen werden können.


Gewebeentnahmen - Handlungsbedarf in Österreich

Für die Richtlinie 2004/23/EG zur Gewebeentnahme gab es seit 2004 Handlungsbedarf, spätestens im April 2006 hätte eine Umsetzung erfolgen sollen. Österreich war - wieder einmal - säumig und hat erst im Dezember 2007 in einem Husch-Pfusch-Verfahren, als Tagesordnung unter vielen ein "Gewebesicherheitsgesetz - GSG" durchgedrückt.

Wesentlicher grundrechtlicher Kern der EG-Richtlinie sind die Einwilligungs- und Genehmigungsrechte. Offenbar sollen durch die Richtlinie die eingangs beschriebenen "lettischen Verhältnisse", bei denen Tote geradezu ausgeweidet werden, verhindert werden.

Artikel 13 der Richtlinie erklärt die Beschaffung von menschlichen Geweben oder Zellen nur dann als erlaubt, wenn sämtliche in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden zwingenden Vorschriften über die Einwilligung oder Genehmigung eingehalten wurden. Die Richtlinie erlaubt somit den Mitgliedsstaaten Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung in das nationale Recht.

Österreich hat sich mit dem Gewebesicherheitsgesetz zu einem grundrechtlich unzureichenden Weg entschlossen. Bei Lebendspendern ist zwar grundsätzlich eine schriftliche Einwilligung einzuholen (§4 GSG), aber selbst hier lässt sich der Gesetzgeber ein riesiges Schlupfloch. "Sofern der Spender zur Unterschriftsleistung nicht in der Lage ist, muss die Einwilligung vor einem Zeugen abgegeben werden, der die Einwilligung durch seine Unterschrift zu bestätigen hat." Der Zeuge ist nicht weiter qualifiziert und muss nicht eine Vertrauensperson oder ein naher Verwandter sein. So ist es ohne weiters denkbar, dass sich genau jenes Personal, das Interesse an der Gewebe-Entnahme hat, gegenseitig bestätigt, dass ja der Spender durch Handzeichen, Nicken oder ähnlichem zugestimmt hat.

Bei der Gewebeentnahme Toter gilt wieder die Widerspruchslösung im Sinne des § 62a des Kranken- und Kuranstaltengesetzes. Diese bezieht sich zwar ausdrücklich auf Transpalantationsfälle, ist daher bei den üblichen Gewebeentnahmen zu Forschungszwecken und zur Herstellung von Medizinprodukten streng genommen nicht anwendbar.

Mit der nun verabschiedeten Regelung wurden willfährig die Bedürfnisse der Gewebeindustrie und mancher Forscher befriedigt, auf der Strecke blieben die Privatsphäreinteressen der (unfreiwilligen) Spender und Anverwandten.


Gewebeentnahme offensichtlich nicht EU-konform geregelt

Die EU-Richtlinie spricht eindeutig von "Einwilligung oder Genehmigung" für die Gewebeentnahme, in Österreich gibt es jedoch - zumindest bei den Toten - keinen Einwilligungs- oder Genehmigungsprozess.

Festzuhalten ist, dass eine Rechtsordnung, die Bestimmungen über „Einwilligung oder Genehmigung“ gar nicht kennt, mit der EU-Bestimmung nicht im Einklang stehen kann, da dies die Richtlinie wirkungslos machen würde. Ob die derzeitige österreichische Regelung mit den Vorgaben der Richtlinie vereinbar ist, ist somit mit „nein“ zu beantworten, da eine „Nichtäußerung“ - Nichterhebung des vorgesehenen Widerspruchs -  sicherlich nicht als Einwilligung im Sinne der Richtlinie gelten kann.

Gerade in Kraft getreten steht hinsichtlich der derzeitigen Regelungen dem österreichischen Gesetzgeber in Anbetracht der Vorgaben der EU daher wohl schon die Gesetzes-Reparatur ins Haus.


Rechtssicherheit für Spender und Angehörige notwendig

Die Frage der Entnahme von Organen, Zell- und Gewebeteilen von Verstorbenen ist sicherlich ein überaus umstrittener Gegenstand, sowohl im juristischen als auch moralisch-ethischen Sinne. Egal ob man der Widerspruchs- oder Zustimmungslösung anhängt, ist aber eines klar: In einem derart sensiblen Bereich zwischen Medizin und Privatsphäre sollten zumindest keine rechtlichen Unklarheiten herrschen. Zu fordern ist zumindest eine bessere Information darüber, dass ohne erhobenen Widerspruch die Entnahme von Organen und Organteilen an Verstorbenen in Österreich zulässig ist. Eine derartige Informationspflicht trifft insbesondere auf Personen zu, die sich nur vorüebrgehend in Österreich aufhalten und fälschlicherweise auf die strengen Regeln ihres Heimatstaates vertrauen. Jeder soll sich darauf verlassen können, welche Regelung für ihn gilt. Insoferne ist der österreichische Gesetzgeber auch hinsichtlich der gegenwärtigen Regelung zur Gesetzesreparatur aufgefordert - mit europäischen Vorgaben ist das neue Gesetz nicht vereinbar.


Wichtiger Hinweis

Einigermaßen Konfusion findet sich auf der Website des ÖBIG, das für das Widerspruchsregister verantwortlich zeichnet. Die wichtigsten Webseiten zum Thema sind nämlich nur als "Widerspruchregister" auffindbar. Der Gesetzgeber habe, so die Rechtfertigung, das "Widerspruchsregister" nicht Widerspruchsregister genannt, sondern Widerspruchregister. Eine Meinung, die weder im BGBl 35/2004 noch im RIS (Rechtsinformationssystem des Bundes) seinen Widerhall findet.

Damit ist das Auffinden von Informationen auf der ÖBIG-Website, die für dessen Führung verantwortlich sind, einigermaßen erschwert. Unter http://www.oebig.org/index.php?set_language=de&cccpage=leistu...; finden sich alle Formulare für den Widerspruch.

mehr --> gesetzliche Regelung zum Widerspruchsregister
mehr --> http://www.tutogen.com/
mehr --> Parlamentarische Diskussion Gewebeentnahme
mehr --> http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2004/l_102/l_10220040407de0048005...
mehr --> Download Widerspruchs-Formular für Erwachsene
mehr --> Regierungsvorlage Gewebesicherheitsgesetz - GSG
Archiv --> Organisationsdaten: ÖBIG
Archiv --> Organisationsdaten: Tutogen Medical
Archiv --> http://de.wikipedia.org/wiki/Transplantationsgesetz
Archiv --> Begriffe zum Gewebe-Business
Archiv --> http://de.wikipedia.org/wiki/Organspende
andere --> Stellungnahme BioSkop-Forum zu deutschen Gesetzesentwurf

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