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2008/10/20 Fehleinschätzung des OGH: Geheimhaltung nur bei "strukturierter Sammlung von Daten"?
Die ständige Rechtsprechung von Gerichten und DSK ist immer wieder für Überraschungen gut - Selbst scheinbar klaren Rechtsfragen tauchen neue Fehlentscheidungen auf - Der OGH vertritt in der Entscheidung 5Ob175/08h die unverständlichen Standpunkt, dass die Geheimhaltung nach § 1 DSG 2000 nur bei Daten aus einer "strukturierten Sammlung", einer "Datei" gegeben sei - Datenschutz würde von den Zufälligkeiten der Verarbeitungsform abhängen

Anlassfall Hausgemeinschaft

Die Antragstellerin war Miteigentümerin einer im Wohnungseigentum stehenden Liegenschaft. Bereits seit längerem forderte die Antragstellerin die Hausverwalterin auf, ihr die Anschriften sämtlicher Wohnungseigentümer der Liegenschaft bekannt zu geben, um eine Versammlung einberufen zu können. Die entsprechenden Anschriften im Grundbuch waren veraltet und daher nicht verwendbar. Die Hausverwalterin teilte ihr daraufhin mit, dass nach Rücksprache mit den Wohnungseigentümern einige von ihnen ausdrücklich die Weitergabe ihrer Adressen an andere Personen untersagt hätten. Mit einem gerichtlichen Antrag begehrte die Antragstellerin, die Hausverwaltung zu verpflichten, ihr eine vollständige Liste der Anschriften aller Wohnungseigentümer der Liegenschaft zu übermitteln. Anspruchsbegründend brachte sie vor, sie benötige diese Anschriften, um mit sämtlichen Miteigentümern wegen vielfacher grober Pflichtverletzungen der Hausverwaltung in Kontakt treten und Beschlüsse anfechten zu können.


Weigerung der Hausverwaltung zur Übermittlung von Adressdaten

Die Hausveraltung bestritt das Begehren und beantragte dessen Abweisung. Aus dem WEG ergebe sich keine derartige Verwalterpflicht. Überdies widerspreche die Weitergabe von Adressen gegen den ausdrücklichen Wunsch von Wohnungseigentümern den Bestimmungen des DSG. Mit dem Begehren der Antragstellerin gerate die Antragsgegnerin in eine Pflichtenkollision gegenüber den übrigen Wohnungseigentümern.


Adressübermittlung gegen den Willen einer Hauspartei?

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es bestehe eine Verpflichtung des Verwalters, die Interessen jener Wohnungseigentümer zu wahren, die der Verwalterin untersagt hätten, ihre Adressen an die Antragstellerin weiterzugeben. Die Antragsgegnerin würde pflichtwidrig handeln, wenn sie dennoch die Adressen weitergäbe.

Einem dagegen erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz Folge. Die Verpflichtung der Hausverwalterin, die Adressen herauszugeben, resultiere aus § 25 Abs 1 letzter Satz WEG, worin jedem Wohnungseigentümer das Recht eingeräumt sei, eine Eigentümerversammlung einzuberufen. Dazu bedürfe er der von einem Wohnungseigentümer dem Verwalter bekannt gegebenen inländischen Zustellanschrift. Eine Verweigerung einer solchen Auskunft komme nur im Einzelfall und nur dann in Betracht, wenn dem Begehren nach Auskunft zumindest gleichwertige Interessen betroffener Miteigentümer entgegenstünden, wie dies § 8 Abs 1 Z 4 DSG vorsehe. Der bloße Wunsch einzelner Wohnungseigentümer, dass ihre Adresse an die Antragstellerin nicht weitergegeben werde, beseitige das berechtigte Interesse der Antragstellerin auf Information nicht.


Entscheidung des OGH

Das Höchstgericht führt zunächst aus, dass der Verwalter einer Liegenschaft auch die gemeinschaftsbezogenen Interessen aller Wohnungseigentümer zu wahren habe. Nach richtigem Verständnis gehöre zu den gemeinschaftsbezogenen Interessen eines Wohnungseigentümers auch sein Individualrecht auf Einberufung und Abhaltung von Eigentümerversammlungen, weshalb der Verwalter grundsätzlich ein damit begründetes Begehren eines Wohnungseigentümers zu unterstützen habe und Zustellbevollmächtigte mitteilen müsse. Keinesfalls dürfe er die Willensbildung behindern, indem er die Bekanntgabe von Anschriften verweigere.

Diese Verpflichtung findet nach Meinung des Höchstgerichts dort ihre Grenze, wo der Verwalter durch entgegengesetzte Weisungen von Miteigentümern in einen Interessenkonflikt gerät. Der ausdrücklich erklärte Wunsch von Wohnungseigentümern, von einem bestimmten anderen Wohnungseigentümer nicht durch Kontaktaufnahmen behelligt zu werden, könne grundsätzlich als beachtliches Interesse bewertet werden.


Geheimhaltungsanspruch nur bei „strukturierter Sammlung“?

Allerdings – so das Höchstgericht - würden im Anlassfall der Herausgabe der Adressen nicht Bestimmungen des DSG entgegen stehen, weil sich eine inländische Zustellanschrift nicht in einer Sammlung strukturierter Datensätze findet und daher von "personenbezogenen Daten im Sinn des § 4 DSG keine Rede sein könne".

Zusammengefasst kommt das Erkenntnis zum Schluss, dass der Verwalter im Fall kollidierender Interessen einzelner Wohnungseigentümer ohne entsprechende Weisung der Mehrheit keine Verwalterpflicht verletzt habe und nicht zur Herausgabe der Adressen gezwungen werden könne. Schließlich sei es durchaus denkbar, der Antragstellerin ihr Minderheitsrecht auf Einberufung einer Eigentümerversammlung auch auf andere Weise zu gewährleisten, etwa indem der Verwalter ersucht wird, Ladungen zur Eigentümerversammlung weiterzuleiten.


Kein Datenschutz ohne Datei ?

Während der allgemeine Tenor des Erkenntnisses (begründete Adressweitergabe grundsätzlich ja; keine Weitergabe aber bei ausdrücklichem Verbot) durchaus sinnvoll ist, unterläuft den Höchstrichtern hinsichtlich der Frage eines Geheimhaltungsanspruchs nach dem DSG 2000 ein unfassbarer Schnitzer.

Wie schon in der Entscheidung 6Ob148/00h aus 2000 kommt der OGH abermals zum Schluss, dass § 1 DSG, das Grundrecht auf Datenschutz, nur Daten einer "Datei" nach § 4 DSG betreffen soll.


Datenschutz wäre dem (Verarbeitungs)Zufall überlassen

Würde man tatsächlich annehmen, das Grundrecht auf Datenschutz beziehe sich nur auf in einer Datei verarbeitete Daten, würde dies zu unsachlichen und unbegründeten Benachteiligungen führen, da das Schutzbedürfnis des Betroffenen von der technischen Verarbeitungsweise abhängen würde.

Weiters ist kein sinnvolles juristisches Argument für die Auffassung des OGH erkennbar. § 1 DSG normiert in Abs. 1 den Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten, in Abs. 3 den Anspruch auf Richtigstellung und Löschung solcher Daten sowie das Auskunftsrecht. Der Begriff "Datei" wird nur in Abs. 3 - also in Hinblick auf Löschungs-, Auskunfts- und Richtigstellungsrecht - verwendet.

Nachdem der Dateibegriff in § 1 Abs. 1 DSG gar keine Erwähnung findet, ist klar, dass der verfassungsgesetzlich gewährleistete Geheimhaltungsanspruch nach Willen des Gesetzgebers unabhängig von der Verarbeitungsmethode gilt. Das ist im übrigen auch ständige Auffassung der DSK. Die höchstgerichtliche Auffassung ist auch mit der EU- Datenschutzrichtlinie in keiner Weise im Einklang zu bringen.

Problematischer ist nun, dass der Oberste Gerichtshof acht Jahre nach dem ersten "Sündenfall" 6Ob148/00h aus 2000 nun die Möglichkeit einer Korrektur seines damaligen Erkenntnisses ausgelassen hat und seine verfehlte Rechtsprechung noch ausbaut.

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