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2015/03/16 Darf der Betriebsrat alles über Arbeitnehmer wissen?
MMag. Michael Krenn
Der Betriebsrat im Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz und Vertretung - Arbeitsverfassungsrecht geht Datenschutzrecht vor - OGH: Datenschutz würde Betriebsrat zahnlos machen - Vertretung auch gegen den Willen des Betroffenen? - Interessenabwägung wie im Datenschutzrecht wäre sinnvoll

Zwischen dem Grundrecht auf Datenschutz einzelner Arbeitnehmer und dem Vertretungsanspruch eingesetzter Betriebsräte besteht ein gewisses Spannungsfeld: Eine zielgerichtete Vertretung der gesamten Belegschaft ist oft nur möglich, wenn der Betriebsrat einen Überblick über die Gehalts- und Beschäftigungssituation im Unternehmen hat. Aus diesem Grunde gewährt ihm das Arbeitsverfassungsrecht umfassende Überwachungs- und Einsichtsrechte. Auf der anderen Seite: Was ist mit Arbeitnehmern, die mit dem Betriebsrat gar nichts zu schaffen haben wollen und nicht möchten dass dieser über ihre Daten informiert ist? Der OGH sieht in seiner Entscheidung(6ObA1/14m) ein umfassendes Informations- und Einsichtsrecht des Betriebsrats auch gegen den Willen des Arbeitnehmers. Laut OGH ist in diesem Fall das Arbeitsverfassungsrecht über den Datenschutz zu stellen.

Arbeitnehmer verwehrten Betriebsrat Einsicht

Der Betriebsrat einer Unternehmung beantragte bei der Geschäftsführung Einsicht in Gehalts- und Lohnabrechnungen (einschließlich Krankenstands- und Arbeitszeitaufzeichnungen) aller Mitarbeiter. Da sich mehrere Mitarbeiter sowohl mündlich als auch schriftlich gegenüber der Geschäftsführung gegen die Übermittlung derartiger Unterlagen an den Betriebsrat aussprachen und um Geheimhaltung ihrer Daten ersuchten, gewährte die Geschäftsführung keine Einsicht. Der Betriebsrat erhob daraufhin Klage auf Übermittlung der Unterlagen. Das Erstgericht gab der Klage statt und sprach aus, dass die Beklagte weiters verpflichtet sei, die Klägerin von jeder erfolgten Neueinstellung eines Arbeitnehmers zu informieren, wobei die Mitteilung die geforderten Angaben zu enthalten habe. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung, die Unternehmung wandte sich an den Obersten Gerichtshof.

OGH: Arbeitsverfassungsrecht geht Datenschutzrecht vor

Nach § 9 Z 11 DSG 2000 werden "schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen bei Verwendung sensibler Daten dann nicht verletzt, wenn die Verwendung erforderlich ist, um den Rechten und Pflichten des Auftraggebers auf dem Gebiet des Arbeits- oder Dienstrechts Rechnung zu tragen, und sie nach besonderen Rechtsvorschriften zulässig sei, wobei die dem Betriebsrat nach dem Arbeitsverfassungsgesetz zustehenden Befugnisse unberührt bleiben." Laut OGH werde der Betriebsrat daher in allfälligen Befugnissen nach dem Arbeitsverfassungsgesetz nicht durch das DSG eingeschränkt. Eine entsprechende Regelung habe auch bereits das DSG 1978 vorgesehen. Es bestehe auch nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit Erlassung des DSG 2000 am Verhältnis zwischen dem Datenschutzrecht und dem Arbeitsverfassungsrecht etwas ändern wollte - auch wenn die genannte Bestimmung nur sensible Daten ausdrücklich erfassen würde.  Das Überwachungsrecht des Betriebsrats bestehe auch ohne Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers, lediglich zur Einsicht in Personalakten sei die Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers erforderlich.

OGH: Datenschutz würde Betriebsrat zahnlos machen

Würde man darüber hinaus eine individuelle Zustimmung der Dienstnehmer für erforderlich halten, würde dies nach Meinung des OGH die Tätigkeitsmöglichkeiten des Betriebsrats aushöhlen. Dadurch bestünde auch die Gefahr, dass einzelne Dienstnehmer vom Arbeitgeber unter Druck gesetzt werden, um entsprechende Einsichtnahmen und Kontrolltätigkeiten des Betriebsrats zu verhindern. Nachdem der Betriebsrat zur Ausübung seiner Befugnisse verpflichtet sei, habe auch eine Interessenabwägung nicht mehr stattzufinden. Hinzuweisen ist auch auf die Verschwiegenheitspflicht der Betriebsratsmitglieder, die durch eine Verwaltungsstrafe sowie durch einen gerichtlich klagbaren Unterlassungsanspruch sanktioniert sei. Überdies stelle eine Verletzung der Verschwiegenheitspflicht einen Entlassungsgrund dar.

Grundsätzlich ist zu sagen, dass es rechtlich relativ wenig an der Entscheidung des OGH zu diskutieren gibt: Wenn schon hinsichtlich sensibler Daten auf die Regelungen des Arbeitsverfassungsrechts verwiesen wird, ist schwer argumentierbar, weshalb dies für sonstige Datenkategorien nicht gelten und eine Datenverwendung von einer Einwilligung des Betroffenen abhängen sollte.

Vertretung auch gegen den Willen des Betroffenen ?

Auch das dahinterstehende rechtspolitische Argument hat durchaus einen tieferen Sinn: Ein Betriebsrat, der keine Möglichkeit hat, sich über die Situation im Unternehmen zu informieren, kann zahnlos und eine vernünftige Vertretungsarbeit schwierig werden. Wenn ein Arbeitnehmer nicht bereit ist, seine Daten herzugeben, betrifft dies sohin nicht nur seine eigene Situation, sondern kann sich dies - soferne dies häufig vorkommt - auf das Gewicht des Betriebsrats und sohin auch auf alle anderen Arbeitnehmer negativ auswirken. Der Arbeit und der Stellung des Betriebsrats darf daher gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Andererseits birgt der dahinterstehende Gedanke natürlich eine gewisse Gefahr, die jedem freiheitssinnigen Menschen bewusst sein muss: Nämlich das Prinzip, dass ein Arbeitnehmer „auch gegen seinen Willen vertreten werden muss“ weil er „selbst nicht weiß, was für ihn gut ist.“ Bei aller Berechtigung einer effizienten Arbeitnehmervertretung ist ein solcher „Zwangsbeglückungsgedanke“ abzulehnen. Vor allem ist eines zu überlegen: Welche Motivation haben Arbeitnehmer, dem Betriebsrat den Zugang zu ihren Daten zu verwehren und es auf ein Gerichtsverfahren ankommen zu lassen? In einer derartigen Situation muss man sich zumindest die Frage stellen, ob die Arbeit des Betriebsrates tatsächlich an den Interessen aller Arbeitnehmer orientiert ist oder die (berechtigte) Befürchtung besteht, auch andere Kollegen würden diese Daten erhalten.

Interessenabwägung gefordert

Grundsätzlich können Arbeitnehmer heutzutage wohl als homogene Gruppe gesehen werden, bei welcher offenbar nicht alle mehr durch eine „Kollektivvertretung“, die meist an den Prinzipien der Gewerkschaft orientiert ist, angesprochen werden. Besonders bei besser Qualifizierten mit höherem Einkommen wird das Interesse gering sein, einen „Gehalts-Striptease“ hinzulegen. Meist man ohnehin in der Lage sein, sich selbst zu vertreten und kein Interesse daran haben, dass derartige infos möglicherweise im Betrieb weiterverbreitet werden.  Hier ist auch zu hinterfragen, ob der Anspruch des Betriebsrats, hier vertreten zu müssen, tatsächlich greift.

Eine gesetzliche „Mittellösung“ könnte durchaus Sinn haben: Grundsätzlich ist anzuerkennen, dass der Betriebsrat gegenüber der Geschäftsführung ein Einsichtsrecht haben muss. Wenn Arbeitnehmer dies in Einzelfällen nicht wollen, sollte ein begründeter Einspruch möglich sein. Der Betriebsrat müsste dann darlegen, warum er die Daten auch gegen den Willen des Betroffenen benötigt. Alleine durch eine Interessenabwägung - wie im Datenschutzrecht usus - wäre das Vertretungsrecht wohl nicht gefährdet.

mehr --> Darf ein Arbeitgeber Gesundheitsdaten verlangen?
mehr --> ftp://ftp.freenet.at/beh/OGH_6ObA1_14m.pdf

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