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2005/09/20 Vorsorgeuntersuchung Neu - der Arzt wird zum Spitzel gemacht
Geplante Vorsorgeuntersuchung Neu erweitert Meldepflichten an die Sozialversicherungen - gesundheitsbewusste Bürger dürfen sich nun selbst als Alkoholiker melden - durch Gesundheitstelematikgesetz werden auch Privatversicherungen, Amtsärzte und Betriebsärzte Zugang zu diesen Daten haben - Ärztevertreter sind zum Handeln gefordert - diese Vorsorgeuntersuchung sollte gemieden werden

Vorsorgeuntersuchung Neu

Wer glaubt, sein Arztbesuch unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht irrt gewaltig. Ab 1. Oktober landen zusätzliche sensible Gesundheitsdaten auch bei den Sozialversicherungen (in Vorarlberg und Tirol schon seit Sommer).

Mit der Vorsorgeuntersuchung Neu wurde ein bürokratisches Monster geschaffen, das nicht dadurch erträglicher wird, dass Teile davon schon in der Vergangenheit der Meldepflicht unterlagen. Eine Fülle hochsensibler Gesundheitsdaten sollen in einer zentralen Kartei landen und stehen zum Zugriff fremder Unternehmen bereit. Alkoholsuchtwert, BodyMassIndex und Bewegungsbereitschaft inklusive.

Auf 207 Seiten wird nicht nur detalliert dokumentiert, welche Untersuchungen im Detail zu führen sind, sondern auch was alles an die Sozialversicherungen zu melden ist und wie die vom Patienten beantworteten Fragen zu bewerten sind. Selbst Formulierungen zum Patientengespräch werden wortwörtlich vorgegeben.

Damit dient die Vorsorgeuntersuchung offenbar weniger dem Patienten sondern liefert personenbezogenes Datenmaterial für die Optimierung (sprich Streichung) von Gesundheitsleistungen.


Freie Bahn zum Selbstbedienungsladen Gesundheitsdaten

Erstmalig wird mit der zentralen elektronischen Verarbeitung der Untersuchungsergebnisse und des Ergebisses eines "Alkoholfragebogens" der Zugriff für eine unüberschaubare Zahl von Einrichtungen geschaffen, deren vorrangiges Ziel nicht die Verbesserung der Gesundheit des Patienten ist, sondern die Reduktion der eigenen Kosten oder die Verminderung von Leistungen.

Zugriff haben Betriebsarzt und Privatversicherungen theoretisch nur, wenn der Betroffene "freiwillig" zustimmt. Eine von vielen Politikern immer wieder zynisch beschworene Freiwilligkeit, die mittlerweile überhaupt nicht mehr freiwillig ist, wird sie doch bei jeder Privatversicherung und auch bei Bewerbungsgesprächen automatisch abverlangt. Ohne Zustimmung keine Versicherung, mit Zustimmung keine Leistung, hat doch damit die private Krankenversicherung alle Rechte solange in alten Gesundheitsdaten herumzustöbern, bis sie Gründe für die Ablehnung teurer Therapien findet. Krankheitsbilder, die schon vor Versicherungsabschluss vorlagen sind vom Versicherungsschutz ausgenommen.

Aus einer Versicherungsgemeinschaft wird nur mehr ein Sparverein für Versicherungsunternehmen.


Die zentrale Alkoholikerdatei

Mit der Vorsorgeuntersuchung Neu hat das Gesundheitsministerium auch gleich eine zentrale Alkoholikerdatei geschaffen. Zwar verbleiben die Detailerhebungen beim Arzt, aus allen Fragen wird jedoch ein Punktewert zwischen 0 und 40 Punkten. Werden mehr als 7 Punkte erreicht (Männer, 4 bei Frauen), gilt die untersuchte Person schon als "auffällig" und somit alkoholgefährdet.

Trinkt eine Frau täglich zum Abendessen ein Achtel Rotwein (Frage A1) und seltener als einmal im Monat, etwa bei einer Party mehr als sechs "Glas Alkohol", das entspricht einem Aperitiv, zwei Achtel Wein, einem kleinen Bier und einem doppelten "Verdauungsschnaps" (Frage A3), dann wird sie als auffällig registriert. Männer haben noch eine Gnadenfrist, hat jedoch ein Verwandter in den letzten 12 Monaten Sorgen zum Alkoholkonsum geäußert (was immer das sein mag) (Frage A10), liegt der Betroffene auch schon darüber (9 Punkte) und ist als auffällig zu registrieren.

Dass die Aufnahme in die Alkoholikerdatei verschleiert werden soll, wird schon aus dem Fragebogen deutlich, bei dem jede Erklärung zur Bedeutung der Kennziffer "Alkoholfragebogen" fehlt.

Abgesehen von der dubiosen Alkoholikerkenntzahl enthält das Meldeformular noch jede Menge weiterer problematischer oder überflüssiger Kennzahlen. So ist nicht nachvollziehbar welchem Zweck die personenbezogene Meldung der Paradontitis-Risikoklasse, des BodyMassIndex, des Blutdrucks oder des Cholesterinwerts dienen soll. Auch kann  nicht wirklich nachvollzogen werden, welchen Nutzen ein Sozialversicherungsbürokrat aus der Kenntnis meines Glukose-, Nitrit-, Eiweiß- oder Blutanteils im Harn ziehen könnte.

Hans G. Zeger: "Tatsächlich sind diese Daten aber für Privatversicherungen buchstäblich Gold wert, lassen sie auf frühe Krankheitssymptome schließen. Werden diese schon vor Versicherungsbeginn diagnostisziert, besteht kein Versicherungsschutz."

Der Fragebogen befindet sich im eklatanten Widerspruch zum EU-Verbot der Speicherung sensibler Daten. Gesundheitsdaten dürfen nur unter ganz wenigen, genau definierten Bedingungen verwendet werden, etwa zu Heilungszwecken. Die Befriedigung des Kontrollbedürfnisses mancher Politiker oder die Reduktion der Leistungspflicht von Versicherungen fällt sicher nicht darunter.

Hans G. Zeger: "Das Gefährdungspotential dieser zentralen Datensammlung geht noch über die Bildungsdokumentation hinaus und kann Menschen in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung massiv gefährden. Selbst wenn diese Daten statistischen Wert haben würden, was angesichts des Augenblickscharakters vieler Daten zweifelhaft ist, ergibt sich keine Notwendigkeit einer personenbezogenen Meldung und Speicherung."


Appel an niedergelassene Ärzte

Ärzten die Meldungen zur Vorsorgeuntersuchung abgeben sollte bewusst sein, dass ihre Daten zentral von den verschiedensten Einrichtungen abrufbar sind und massiv in das wirtschaftliche und soziale Leben des Patienten eingreifen. Die Angaben sollten somit auch in Hinblick auf diese Eingriffe gemacht werden und etwa bei der Alkoholikerkennziffer - nach Aufklärung des Patienten - sollte immer der Wert 0 ("Null") eingetragen werden. Jeder vernünftige Arzt wird weitere Informationen und Handlungen vermeiden, die einem potentiell Suchtkranken sein wirtschaftliches Weiterkommen erschweren und gerade dadurch weiter in die Sucht treiben.


Einfache und unbürokratische Alternative möglich

Keine Bedenken gäbe es, wenn ausschließlich die Tatsache der Vorsorgeuntersuchung durch den Arzt gemeldet wird. Dies ist für die Verrechnung zweckmäßig und sinnvoll und soll auch Doppeluntersuchungen vermeiden helfen. Diese Abrechnungsdaten dürften jedoch nicht als Gesundheitsinformationen betrachtet werden und dürfen keinesfalls an Privatversicherer beauskunftet werden. Ansonsten würde die Gefahr bestehen, dass allein aus der Tatsache, dass eine Vorsorgeuntersuchung durchgeführt wurde Druck auf den Antragsteller ausgeübt wird, die Daten "freiwillig" vom Hausarzt zu beschaffen.


Rettung des Ärztegeheimnisses

Sowohl die Tatsache, dass jemend einen Arzt konsultiert hat, als auch die Ergebnisse der Konsultation sollten Privatsache bleiben und unter die strengste Geheimhaltung fallen.

Grundsätzlich wäre es zu begrüßen, wenn Ärzte einen Beitrag zur Suchtprävention leisten. Dies soll aber nicht dazu führen, dass die Menschen - wie nunmehr geplant - in einer zentralen Suchtkartei landen. Der Meldebogen zur Vorsorgeuntersuchung müsste radikal entbürokratisiert werden und von allen gesundheitsbezogenen Informationen entlastet werden.

Nur wenn die Menschen Vertrauen zur absoluten Schweigepflicht des Arztes haben, werden sie bereit sein frühzeitig und offen über alle medizinischen Probleme zu sprechen und somit beitragen das Gesundheitsniveau zu erhöhen. Nur zu verschiegenen Ärzten gehen die Menschen freiwillig. Ärzte und Ärztevertreter sollten bei ihren Verhandlungen zur Finanzierung der Leistungen stärker als bisher auf diesen Schutz der Intimsphäre achten.

Hans G. Zeger: "Datenerhebungen wie diese sind optimal geeignet das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis zu zerstören. Zum Schaden der Patienten, aber auch zum Schaden der Volksgesundheit."


Verhalten von Patienten

Menschen, die bisher an einer Vorsorgeuntersuchung teilnahmen sollten jedenfalls Auskunft über die bei der Sozialversicherung gespeicherten Daten verlangen und deren Löschung unter Hinweis auf die EG-Richtlinie Datenschutz begehren. Die ARGE DATEN bietet betroffenen Personen Unterstützung bei diesen Verfahren an.

Patienten, die jetzt zur Vorsorgeuntersuchung gehen, sollten sich jede einzelne Information auf dem Meldebogen erklären lassen und nur eine Meldung unterschreiben, die durchschnittliche bzw. unauffällige Daten enthält.

mehr --> http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=LIS-VERSICHERUNG
mehr --> http://www2.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=SOZIAL

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