2012/07/02 OGH: keine polizeilichen DNA-Daten zur Vaterschaftsfeststellung MMag. Michael Krenn
Der OGH entschied, dass DNA-Daten eines mutmaßlichen Vaters, die die Polizeibehörden im Rahmen der Ermittlungen hinsichtlich eines Drogendelikts entnommen hatten, nicht zur Vaterschaftsfeststellung verwendet werden dürfen. (OGH , 3ob2/12h)
Feststellung der Vaterschaft mit polizeilichen DNA-Daten?
In einem Außerstreitverfahren begehrte eine Kindesmutter die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft des mutmaßlichen Kindesvaters. Dieser war unbekannten Aufenthalts und im Verfahren durch einen Abwesenheitskurator vertreten. Die Abgabe einer DNA-Probe, die im gerichtlichen Abstammungsverfahren weitgehend verpflichtend ist, war daher in diesem Fall nicht möglich.
Eine DNA-Probe des mutmaßlichen Vaters lag jedoch der Bundespolizei Wien vor, die das Material im Rahmen der Ermittlungen eines Drogendelikts entnommen hatte. Diese lehnte das Ersuchen des Gerichts, DNA-Material des Antragsgegners bzw. Auswertungen darüber („genetische Informationen“) zur Verwendung im Abstammungsverfahren zur Verfügung zu stellen, aus Datenschutzgründen ab.
Mit Beschluss verpflichtete das Gericht darauf die Bundespolizeidirektion Wien, bei der Befundaufnahme mitzuwirken, und das DNA-Material im Abstammungsverfahren zur Verfügung zu stellen. Die Interessen des Kindes an der Feststellung der Abstammung, seien ein elementares Grundrecht und höher zu bewerten als mögliche datenschutzrechtliche Interessen des Antragsgegners.
§ 85 Außerstreitgesetz (AußStrG), welcher die Mitwirkung Dritter an der Abgabe von DNA-Proben bei der Vaterschaftsfeststellung regelt, sei als Ergänzung zu den einschlägigen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes zu verstehen, wonach, genetische Information im Abstammungsverfahren den Sachverständigen zur Verfügung zu stellen sind.
Datenschutz des Betroffenen vs. Informationsrecht auf eigene Abstammung
Die Republik Österreich erhob namens der Bundespolizeidirektion Wien Rekurs gegen den Beschluss, das Rekursgericht behob diesen.
Nach § 85 Abs 4 AußStrG könne das Gericht von jedermann die Herausgabe notwendiger Gewebeproben, Körperflüssigkeiten und Blutproben der in dieser Bestimmung genannten Personen nur solange verlangen, als keine besonderen gesetzlichen Bestimmungen entgegenstünden.
Eine solche Bestimmung wäre § 67 Abs 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG). Er erlaube eine Auswertung genetischer Information, die durch erkennungsdienstliche Maßnahmen ermittelt worden seien, ausschließlich für Zwecke des Erkennungsdienstes. Proben nach § 67 SPG fielen unter den Gesetzesvorbehalt des § 85 Abs 4 AußStrG, weshalb diesbezüglich ein „Herausgabeanspruch des Gerichts“ ausgeschlossen sei. Eine gesetzliche Grundlage für die vom Erstgericht angeordnete Mitwirkung der Bundespolizeidirektion Wien existiere nicht.
Antragstellerin erhebt Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof
Durch die Herausgabe des DNA-Materials würden keine schutzwürdigen Interessen des Antragsgegners verletzt, so die Antragstellerin. Es sei nicht Aufgabe des Datenschutzes, den flüchtigen Antragsgegner insbesondere vor unterhaltsrechtlichen Konsequenzen einer Vaterschaftsfeststellung zu schützen. Das Recht des - unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehenden - Kindes auf Feststellung seiner Abstammung gehe schon im Hinblick auf Art 8 EMRK vor. Der mutmaßliche Vater, der flüchtig sei, dürfe nicht gegenüber einem mutmaßlichen Vater mit bekanntem Aufenthalt bevorzugt werden, da letzterer bei Verweigerung der Mitwirkung an der Abstammungsfeststellung von Organen der öffentlichen Sicherheit jederzeit zur Mitwirkung gezwungen werden könne.
OGH: Datenschutz hat Vorrang
Trotz Einbeziehung des Art 8 EMRK entscheidet der OGH zugunsten der datenschutzrechtlichen Interessen des Betroffenen.
Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art 8 EMRK habe jeder ein geschütztes Interesse daran, Auskünfte zu erhalten, die notwendig sind, die Kindheit und frühe Entwicklung zu verstehen. Dazu gehöre auch die Möglichkeit der Gewinnung von Informationen über die Identität der Eltern.
Dieser Anspruch müsse jedoch gegen die Interessen Dritter abgewogen werden. Nach § 85 Abs 4 AußStrG könne das Gericht im Abstammungsverfahren - subsidiär gegenüber anderen Beweisen - von jedermann die Herausgabe notwendiger Gewebeproben, Körperflüssigkeiten und Blutproben verlangen, soweit keine besonderen gesetzlichen Bestimmungen entgegenstünden.
Proben nach § 67 Sicherheitspolizeigesetz seien jedoch von der Regelung ausgenommen. Der Gesetzgeber habe also unter Einbeziehung des Art 8 EMRK bewusst eine Interessenabwägung zugunsten der datenschutzrechtlichen Interessen des Betroffenen vorgenommen. Das Gericht könne daher nicht die Herausgabe der bereits entnommenen DNA-Proben verlangen.
Fazit: Polizeiliche DNA-Daten dürfen nicht für andere Zwecke verwendet werden
In seiner Entscheidung gibt der OGH dem Datenschutzrecht des Betroffenen den Vorrang vor dem Informationsbedürfnis zur eigenen Abstammung ohne umfassende Abwägung, weshalb ersteres wichtiger als letzteres sein soll. Dazu hätte die Bestimmung des Außerstreitgesetzes dem Verfassungsgerichtshof zur Überprüfung auf deren Verfassungsmäßigkeit vorgelegt werden müssen. Es treffen hier zwei grundrechtlich geschützte Interessen aufeinander, die beide Ausprägungen des Rechts auf Privat- und Familienleben darstellen.
Einerseits kann ein von einem Vaterschaftsverfahren Betroffener zur Abgabe von DNA-Proben verpflichtet werden, andererseits kann auf bereits erhobene DNA-Daten nicht zugegriffen werden. Zumindest auf den ersten Blick wirkt dies tatsächlich so, als ob diese Form des Schutzes nur zugunsten von Personen greifen würde, die sich einem Vaterschaftsverfahren oder generell den Behörden entziehen.
Genauer betrachtet scheint dem OGH jedoch die Möglichkeit eines Zugriffs auf DNA-Daten eines völlig Unbeteiligten, der sich mangels Teilnahme am Verfahren nicht dagegen wehren kann zu weit zu gehen. Dadurch, dass dem Antragsteller schon durch die bloße Behauptung der Vaterschaft der Zugang zu einem Gerichtsverfahren und damit zur Klärung der Vaterschaft in einem ordnungsgemäßen Beweisverfahren mit entsprechenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen eröffnet wird, bestünde diese Möglichkeit.
Diese Konstellationen hatte der Gesetzgeber bei der Regelung des Abstammungsverfahrens vermutlich im Blick und schließt deshalb die Verwendung polizeilich erhobener DNA-Proben in Abwesenheit des Betroffenen aus.
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