2013/02/19 OGH: kein Auskunftsanspruch über dynamische IP-Adresse MMag. Michael Krenn, Hans G. Zeger
Betroffene verlangt Löschung eines beleidigenden Postings und Herausgabe der IP-Adresse - § 18 Abs 4 ECG als Rechtsgrundlage geeignet? - Gerichte verneinen berechtigtes Interesse an IP-Adresse - OGH 6Ob119/11k: dynamische IP-Adresse nicht zur Ermittlung des Verfassers geeignet - IP-Adresse meist unverstanden
Beleidigung einer Bundesheerangehörigen
Ein Online-Medium hatte über die Aktivitäten der Betroffenen, einer Pionieroffizierin des Bundesheers, die mit der Errichtung einer Ersatzbrücke betraut war, berichtet. Im Online-Diskussionsforum des Internetportals fand sich ein Eintrag eines Nutzers, der sich „Bundesheer-Fan“ nannte, mit folgendem Inhalt: „Bitte erspart uns in Zukunft solche Bilder von dieser Fr Hauptmann. Diese Brücke kann ein Zugsführer genauso montieren. Von ihrem Aussehen will ich gar nicht sprechen. Revolver umgeschnallt und einen Gang wie einst JOHN WAYNE, bevor er vom Pferd gefallen ist. Ist diese Frau mit ihrem Gesicht, Haarschnitt und ihrem Auftreten für einen Mann überhaupt sexuell noch erstrebenswert???? Bitte keine solche Frauen beim Heer, eher zu einer Reinigungsfirma.“
Betroffene verlangt Löschung und Herausgabe der IP-Adresse
Die Betroffene wandte sich an die Betreiberin des Internetportals, verlangte die Löschung des beleidigenden Postings und die Herausgabe der IP-Adresse des Verfassers um auf diesem Weg an dessen Identität zu kommen und anschließend rechtliche Schritte gegen diesen einzuleiten. Die Betreiberin des Internetportals veranlasste umgehend die Löschung des Postings, verweigerte jedoch die Herausgabe der IP-Adresse. Unter Berufung auf § 18 Abs 4 e-commerce-Gesetz (ECG) versuchte nun die Betroffene die Herausgabe der IP-Adresse auf dem Klagsweg zu erzwingen.
§ 18 Abs 4 ECG als Rechtsgrundlage geeignet?
Der beklagten Plattformbetreiberin standen Name und Adresse des Nutzers nicht zur Verfügung, das Forum auf dem die Beleidigung gepostet worden war war annonym, die verwendete IP-Adresse dynamisch. Die Klägerin hatte sich auf § 18 Abs 4 ECG, wonach host provider Name und Adresse des Nutzers auf Verlangen zu übermitteln hätten, berufen und behauptet unter den Begriff Adresse iSd § 18 Abs 4 ECG falle auch die IP-Adresse.
Die Beklagte wendete ein, § 18 Abs 4 ECG sei nicht einschlägig. Eine IP-Adresse sei keine „Adresse“ iSd § 18 Abs 4 ECG. IP-Adressen seien „personenbezogene Daten“ im Sinne des DSG 2000, deren erlaubte Verwendung im Zusammenhang mit gerichtlich strafbaren Handlungen abschließend im DSG geregelt sei, sodass der Klägerin auch aus diesem Grund kein Anspruch auf die Herausgabe der IP-Adresse zustehe. Überdies sei die konkrete IP-Adresse ein dynamisches technisches Merkmal, das dem Kommunikationsgeheimnis nach § 93 TKG unterliege. Selbst bei Kenntnis einer dynamischen IP-Adresse müssten zur Identifikation der Stammdaten des Nutzers Verkehrsdaten verarbeitet werden. Da Verkehrsdaten dem verfassungsrechtlichen Schutz des Fernmeldegeheimnisses, des Privat- und Familienlebens sowie des Grundrechts auf Datenschutz unterlägen, sei der Beklagten die Herausgabe von Verkehrsdaten grundsätzlich untersagt.
Gerichte verneinen berechtigtes Interesse an IP-Adresse
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es führte rechtlich aus, § 18 Abs 4 ECG nenne nur den Namen und die Adresse eines Nutzers, nicht aber die IP-Adresse. Selbst wenn man auch IP-Adressen unter die „Adressen“ in dieser Bestimmung subsumieren wollte, würde es sich bei der IP-Adresse eines Internetnutzers um Daten handeln, die zum Zweck der Weiterleitung einer Nachricht an ein Kommunikationsnetz verarbeitet würden. Damit seien IP-Adressen dann als „Verkehrsdaten“ zu qualifizieren, wenn es sich dabei um dynamische IP-Adressen handle. Diese unterlägen daher dem Kommunikationsgeheimnis und überdies § 99 TKG, nach welchem Verkehrsdaten, außer in den gesetzlich geregelten Fällen, nicht gespeichert werden dürften und vom Betreiber nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen seien.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichts und verneinte das rechtliche Interesse der Klägerin an der Bekanntgabe der IP-Adresse im konkreten Fall.
OGH: dynamische IP-Adresse nicht zur Ermittlung des Verfassers geeignet
Auch das Höchstgericht bezeichnete das Interesse der Klägerin an der Bekanntgabe der IP- Adresse als unberechtigt. Die Klägerin habe mit dem vorliegenden Sachverhalt zwar das überwiegende rechtliche Interesse an der Feststellung der Identität des Posters „Budesheer-Fan" glaubhaft gemacht. Es sei aber zu prüfen, ob die Klägerin nach einer allfälligen Bekanntgabe der IP-Adresse in einem weiteren Schritt oder mehreren weiteren Schritten den Inhaber dieser IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt herausfinden könne.
Das Höchstgericht zitierte die EuGH-Entscheidung Promusicae/Telefónica wonach die Verwendung und Speicherung von Verkehrsdaten auch zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen für zulässig erachtet wird. Obgleich die einschlägigen Entscheidungen des EuGH im Zusammenhang mit Urheberrechtsverletzungen ergingen, müsse diese Rechtsprechung auch auf andere Arten von Rechtsverletzungen anwendbar sein. Solche Regelungen einzuführen oder auch nicht, bleibe jedoch den Mitgliedstaaten vorbehalten.
Der Access-Provider würde gegen die in den §§ 92 ff TKG normierten Pflichten verstoßen, wenn er nach Bekanntgabe der dynamischen IP-Adresse des Posters „Budesheer-Fan“ durch die Klägerin die Identität dieses Posters preisgäbe. Die Klägerin könne also mit der IP-Adresse des Posters „Budesheer-Fan“ auf legalem Weg Namen und Adresse des Posters nicht erlangen. Es fehle für den Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG somit an der Voraussetzung, dass die Kenntnis der IP-Adresse eine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung bilde.
IP-Adresse - meist unverstanden
Die technische Bedeutung der IP-Adresse ist in der Öffentlichkeit und bei den Strafverfolgungsbehörden immer noch unverstanden. Die ARGE DATEN hat sich schon mehrfach mit dem Phänomen IP-Adresse auseiander gesetzt (siehe auch den FAQ-Beitrag http://www.argedaten.at/php/cms_monitor.php?q=PUB-TEXT-ARGEDA...).
Zusammengefasst kann gesagt werden, die IP-Adresse wirkt wie ein Stempel, der innerhalb von Millisekunden auf tausenden Datenpaketen angebracht wird und bei dem in jedem Einzelfall geprüft werden müsste, wer der Verantwortliche eines bestimmten Datenpaket ist, das Ursache einer kriminelle Tätigkeit ist.
Die Unterscheidung zwischen "statische" und "dynamische" IP-Adresse ist dabei wenig sinnvoll, da in beiden Fällen der Datenverkehr selbst analysiert werden müsste. Der einzige Unterschied liegt beim Provider, bei der "statischen" IP-Adresse kann er nach heutigem Rechtsverständnis, die "heiße Kartoffel" der Datenanalyse an seinen Kunden delegieren und die Strafverfolgungsbehörden zu diesem schicken.
Dieser ist aber weder als Zeuge, noch weniger als Beschuldigter, verpflichtet Verkehrsdaten UND/ODER Inhaltsdaten seiner Computer aufzuzeichnen, auszuwerten oder zu analysieren. Ist er selbst nicht ein geständiger Täter, finden sich bei einer Hausdurchsuchtung keine belastende Unterlagen oder ist eine Observation nicht erfolgreich, dann endet die Ermittlung bei "statischer" und "dynamischer" IP-Adresse gleichermaßen in der Sackgasse.
Resumee
Das Urteil bestätigt die bisherige Linie des OGH, der die Verarbeitung dynamischer IP-Adressen zur Nutzerfeststellung als Verarbeitung von Verkehrsdaten betrachtet. Eine solche ist wiederum nur unter den ausdrücklichen gesetzlichen Voraussetzungen zulässig - bei Verfolgung von Strafdelikten nur im Sinne der StPO an Behörden, wenn dies der Aufklärung von Vorsatzstraftaten mit mehr als einjähriger Haftdrohung (bzw. mehr als sechsmonatiger Haftdrohung unter Zustimmung des Teilnehmers) dient. Die Beleidigung gem. § 115 StGB ist hingegen ein reines Privatanklagedelikt, welches mit einer Höchstfreiheitsstrafe von drei Monaten bedroht ist - insoferne ist keine Durchbrechung des Kommunikationsgeheimnisses zulässig.
Zwar wäre ein Auskunftsanspruch denkbar, wenn dem Nutzer eine statische IP-Adresse zugeordnet gewesen wäre. Diese gilt als Stammdatum, welches der Access-Provider zu beauskunften hat, weshalb wohl auch ein rechtliches Interesse an der Herausgabe der IP-Adresse gegenüber dem Betreiber der Website bestanden hätte. Die Frage, ob § 18 E-Commerce-Gesetz unter Adressen auch IP-Adressen versteht, hat das Höchstgericht unbeantwortet gelassen. Die gesetzliche Bestimmung ist in diesem Zusammenhang sind unklar, angesichts der technischen Besonderheit der IP-Adresse sollte sie jedoch nicht anderen, einer Person eindeutig zugeordneten Nummern und Adressen, wie Wohnadresse, Sozialversicherungsnummer oder KFZ-Nummer gleichgestellt werden.
Beleidigung als Preis der Freiheit im Internet?
Für Betroffene ist die Situation unerfreulich. In der jetzigen Konstellation besteht keine realistische Chance reine Internet-Straftaten, inklusive Beleidigungen, Verleumdungen, Urheberrechtsverletzungen usw. zu ahnden. Betroffene können nur darauf bauen, dass Täter auch außerhalb des Internets kriminelle Spuren hinterlassen und auf diese Weise zur Verantwortung gezogen werden können.
Eine nicht ganz unrealistische Vorstellung, Beleidigungen, Verleumdungen finden meist im Bekanntenkreis statt, Internet-Erpressung, -Nötigung oder -Spionage, aber auch Internet-Abzocke haben meist einen finanziellen Hintergrund, beim Geldtransfer werden wesentlich bessere Spuren hinterlassen. Kinderpornographie erfordert Aktivitäten in der realen Welt, die verfolgbar sind.
Ob eine Gesellschaft den Rest an unaufklärbaren Taten als Preis für anonyme Meinungsäußerung akzeptiert ist eine rein gesellschaftspolitische, nicht juristische Frage. Wem jedoch der Preis zu hoch erscheint, der sollte dann auch über die Konsequenzen einer wirksamen Internet-Polizei nachdenken.
Soll das Internet tatsächlich verstärkt nach strafrechtlich relevanten Sachverhalten durchsucht werden, dann wäre die zwangsläufige Konsequenz, dass einerseits die Verantwortung des Vertragsinhabers drastisch verschärft werden müsste, andererseits müsste der gesamte Internet-Verkehr personenbezogen erfolgen. Computer und Internet müssten - vergleichbar dem PKW - als gefährliche Sache eingestuft werden, Nutzer müssten verpflichtet werden wirksame Kontrollsysteme zu installieren, die ihm bei jedem mit "seiner" IP-Adresse versehenen Datenpaket anzeigt, welche (potentiellen) Rechtsverletzungen möglich sind.
Die weitere - zwangsläufige - Konsequenz wäre die Ermächtigung der Sicherheitsbehörden zu "Deep Packet Inspection", eine Analyse des gesamten Internet-Datenverkehrs in Echtzeit. Etwas was China, Nord-Korea und in Ansätzen auch die USA versuchen, mit bescheidenen Erfolg, aber um den Preis der Ausschaltung der Grund- und Freiheitsrechte.
Archiv --> http://ftp.freenet.at/beh/OGH_6Ob119_11k.pdf
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