2010/03/20 Einmal als Sexualtäter verdächtig, ewig Sexualverbrecher? MMag. Michael Krenn
Vor einiger Zeit wurde die Schaffung einer Sexualstraftäterdatei als Allheilmittel gegen verschiedenste Verbrechen hochstilisiert. Eine Entscheidung des VfGH (B298/09) zeigt bedenkliche Tendenzen. Den Antrag eines Betroffenen, gegen den eine Voruntersuchung im Zusammenhang mit Sexualdelikten eingestellt worden war, die Daten zu löschen, sieht der VfGH als nicht berechtigt an.
Einstellung eines Ermittlungsverfahrens
Die Bundespolizeidirektion Wien hatte gegen den Betroffenen nach Durchführung von Ermittlungen im Dienste der Strafjustiz bei der Staatsanwaltschaft Wien Strafanzeige wegen des Verdachts der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach §207a StGB sowie des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach §207b StGB eingebracht. Die Staatsanwaltschaft Wien legte die Anzeige nach veranlassten gerichtlichen Vorerhebungen aus Beweisgründen gemäß §90 Abs1 StPO zurück, weshalb das Verfahren vom Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eingestellt wurde.
Der Betroffene begehrte bei der Bundespolizeidirektion Wien die Löschung sämtlicher zu seiner Person im Zusammenhang mit den sicherheitsbehördlichen Ermittlungen (automationsunterstützt oder nicht automationsunterstützt) verarbeiteten Daten, insbesondere im kriminalpolizeilichen Akt, in den Allgemeinen Protokollen und in den entsprechenden Erhebungsakten, weil die Daten nicht mehr benötigt würden. Die Bundespolizeidirektion Wien teilte dem Beschwerdeführer mit, dass im so genannten Kriminalpolizeilichen Aktenindex (KPA) - zufolge umgehender Löschung nach Bekanntwerden der Verfahrenseinstellung von Amts wegen - keine ihn betreffenden Daten mehr verarbeitet würden; Daten, die im unstrukturierten Erhebungsakt enthalten sind, unterlägen nicht dem Löschungsrecht; die in der Datenanwendung "Allgemeine Protokolle" gespeicherten Daten würden zur Wiederauffindung des Kopienaktes sowie zur Dokumentation behördlichen Handels "jedenfalls auf Dauer der Aufbewahrung einer Aktenkopie (fünf Jahre)" noch benötigt.
Verarbeitung der Daten auch nach Verfahrenseinstellung noch notwendig?
Der Betroffene erhob zunächst Beschwerde an die Datenschutzkommission. Die vom erhobene Beschwerde wurde abgewiesen. Begründend führte die DSK im Wesentlichen aus, dass ein Löschungsanspruch hinsichtlich des Papieraktes nicht bestehe, weil diesem die Dateiqualität iSd §4 Z6 DSG 2000 fehle. Im PAD würden zwar seit Umstellung der Software auf die Vollversion 2.0 im Dezember 2006 nicht mehr ausschließlich "äußere", sondern auch "innere" personenbezogene Verfahrensdaten (gescannte Dokumente, Textdokumente über Einvernahmen, Aktenvermerke etc.) gespeichert. Die vom Beschwerdeführer behauptete "Sensibilität" strafrechtsrelevanter Ermittlungsdaten gemäß §4 Z2 DSG 2000 im Zusammenhang mit den hier aktuellen Sexualdelikten könne im Fall einer Verfahrensbeendigung durch Einstellung allerdings nicht anders beurteilt werden als bei Straftatbeständen ohne Sexualbezug.
Eine Löschungsverpflichtung hinsichtlich der Daten sei zu verneinen, weil sich der Bedarf an der Verfahrensdokumentation in Anbetracht der Möglichkeit einer Wiedereröffnung des Strafverfahrens, aber auch unter dem Aspekt der gesetzlichen Vorschriften über die nachprüfende Kontrolle des konkreten Verwaltungshandelns ergebe. Der Betroffene wandte sich mit einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
VfGH: Keine Datenlöschung
Der Verfassungsgerichtshof wies die Beschwerde des Betroffenen als unbegründet ab.
Der Verfassungsgerichtshof geht – ohne nähere Erläuterung- davon aus, dass Kopienakten zufolge ihres Aufbaues und ihrer Struktur nicht als Datei iSd §4 Z6 DSG 2000 zu qualifizieren seien, weshalb insoweit kein Löschungsanspruch bestehe. Die elektronische Datensammlung im EDV-System PAD könne sich auf die Bestimmung des §13 Abs2 SPG stützen. Aus den Grundrechtsverbürgungen des §1 Abs3 DSG 2000 iZm Art8 Abs2 EMRK folge, dass im Falle eines Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz, so auch bei der Weiterverarbeitung strafrechtsrelevanter Daten nach Einstellung des Bezug habenden Strafverfahrens, eine Interessenabwägung vorzunehmen sei. Dabei seien die Interessen des Betroffenen an der Löschung der Daten dem öffentlichen Interesse an der weiteren Dokumentation - einzelfallbezogen - gegenüberzustellen und zu gewichten.
In Anbetracht der von der belangten Behörde erwogenen Möglichkeit der Wiedereröffnung des Verfahrens aber auch angesichts denkbarer nachträglicher Kontrollvorgänge sei den öffentlichen Interessen an der Auffindbarkeit der Ermittlungsakten höheres Gewicht beizumessen als dem Löschungsinteresse des Beschwerdeführers.
Einmal verurteilt, immer verurteilt?
Der Argumentation des VfGH sind folgende Erwägungen entgegen zu halten: Die Verfahrenseinstellung ist in Rechtskraft erwachsen., es steht daher grundsätzlich fest, dass der Betroffene niemals eine strafbare Handlung intendiert hatte, woran keine staatliche Behörde mehr Zweifel äußern darf (EGMR: Orr gg. Norwegen 2008; Asan Rushiti vs. A, 21.03.2000; Lamanna vs. A, 10.07.2001). Hat der Bf aber nie eine strafbare Handlung auch nur intendiert, so werden die Daten nicht mehr (weiter) benötigt (weder für sicherheitspolizeiliche noch für kriminalpolizeiliche Zwecke) (§63 SPG, §§74f StPO; §27 DSG 2000, §1 Abs3 Z. 2 DSG 2000), weshalb sie zu löschen sind.
Erfolgt diese Löschung nicht, so verletzt dies den Bf in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gem. §1 DSG und Art8 EMRK (EGMR: Amann vs. CH 16.02.2000, par. 78ff; Rotaru vs. ROM [GC], 04.05.2000; VfGH 16.03.2001, G94/00, B1117/99). In Fällen, in denen trotz Einstellung infolge erwiesener Unschuld eine kriminelle Energie und damit eine weitere Gefahr konstatiert werden kann (freiwilliger Rücktritt vom Versuch, absolut untauglicher Versuch, Unzurechnungsfähigkeit, Unmündigkeit u.ä.), werden die Daten weiter benötigt und ist eine weitere Speicherung gerechtfertigt. Das ist aber beim Bf, der niemals einen Straftatbestand (zu dem alle objektiven und subjektiven Tatmerkmale gehören) setzen wollte, nicht der Fall. Deshalb wurden seine Vormerkungen ja auch bspw. aus dem KPA entfernt.
Die Ansicht, daß die Weiterverarbeitung der Daten notwendig sei (wohl für allfällige künftige gerichtliche Vorerhebungen; wofür sonst?; Dokumentation ist kein Selbstzweck) ..., ist mit den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten des Bf unvereinbar (§1 DSG 2000, Art6 (2), 8, 14 EMRK; Art7 B-VG, Art2 StGG), darf der völlig unschuldige Bf doch nicht lediglich deshalb gegenüber anderen völlig unschuldigen Staatsbürgern, die ebenfalls niemals eine strafbare Handlung intendierten und niemals vertretbaren Verdacht auf sich zogen, (durch Vorrätighalten seiner Daten für allfällige künftige Strafverfahren, in denen diese Daten dann zu seinem Nachteil Verwendung finden) benachteiligt werden, weil er - anders als die anderen völlig unschuldigen Bürger - das Pech hatte, unschuldig in Verdacht zu geraten und unschuldig angezeigt zu werden (vgl. die obigen Judikaturnachweise).
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