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ELGA - Offener Brief an NR Spindelberger, SP-Gesundheitssprecher
ELGA - Ihr E-Mail vom 14. Februar 2014 (http://ftp.freenet.at/ges/spindelberger-pro-elga-20140214.pdf) - eine Replik

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Spindelberger!

Vorerst bedanke ich mich für Ihr ausführliches E-Mail. Leider geht die Antwort in keinster Weise auf die Bedenken der Öffentlichkeit und auch auf meine immer wieder vorgebrachten Argumente ein.

Umso erstaunlicher ist es, dass Sie offenbar ganz genau wissen, was ich alles zu wissen habe. Es ist dies ein paternalistischer Kommunikationsstil, den ich eher in einem Honoratiorenverein des 19. Jahrhunderts vermutet hätte als bei einer - zumindest früher - zukunftsorientierten Partei.

Ich würde mir jedoch wünschen endlich von einem ELGA-Befürworter, zu dem Sie sich auch zählen, Argumente zu erfahren, welche Vorteile ich persönlich als Patient tatsächlich habe bzw. welche konkreten Vorteile in der Behandlungspraxis die Ärzte tatsächlich haben. Oder sind wir alle zusammen - einige hunderttausend ELGA-Austrittswillige und tausende Ärzte - einfach zu dumm diesen genialen Wurf der Politik zu verstehen?

Sollten die kritischen Staatsbürger ausgeschlossen werden? Oder wie stellen Sie sich die weitere Debatte zum Thema vor? Oder meinen Sie es gelte "Stöger locuta - causa finita"?

Es stünde dem Nationalrat, als Vertretung des Volkes wohl an, angesichts der massiven Debatte das ELGA-Konzept nochmals zu überdenken und eine echte Gesundheitsreform zu starten.


Sie behaupten
"... Patientinnen und Patienten daher in der Vergangenheit auch nicht nachvollziehen konnten, wer auf ihre Gesundheitsdaten zugegriffen hat".

Selbstverständlich konnten Patienten in der Vergangenheit nachvollziehen, wer auf ihre Patientendaten zugegriffen hatte. Durch die ausschließliche Speicherung der Daten beim behandelnden Arzt und dem behandelnden Spital, auf Grund des Ärztegeheimnisses und des Datenschutzgesetzes konnten die Patienten sicher sein, dass nur dort, wo sie behandelt wurden auf die Daten zugegriffen wurde. Diese Stellen waren schon bisher zu umfangreichen Protokollierungen, Sicherheitsmaßnahmen und Auskünften verpflichtet.

Die einzigen Fälle die in der Vergangenheit zu einer Aushöhlung des Ärztegeheimnisses führten waren immer weiter ausufernde Begehrlichkeiten der Verwaltung und Politik, ich erwähne nur Amtsärzte, Sozialversicherungen, Sozialfürsorge und Arbeitsmarktverwaltung, die sich Zugang zu diesen Daten verschafften. Jede dieser Begehrlichkeiten führte zu zahlreichen öffentlichen Diskussionen und musste in vielen Fällen auf ein erträgliches Maß reduziert werden.

Mit ELGA wird das anders, hier kann mit einem Schlag und zentral gesteuert auf alle Patientendaten personenbezogen zugegriffen werden. Es genügt das ELGA-Gesetz genau zu lesen. Gut versteckt hinter dem Begriff "Gesundheitsvorsorge" (§ 14 Abs. 2 Z 1 ELGA-G iVm § 9 Z 12 DSG 2000) wurde ein Persilschein zum Zugang auf alle Patientendaten durch jede Behörde, sogar jede private Einrichtung geschaffen. Es genügt, etwas zur "Vorsorge" tun zu wollen.

Gleichzeitig bleiben jedoch alle bisherigen "alten" und von Ihnen kritisierten Strukturen aufrecht. Die Gesundheitsdaten bleiben weiterhin so verstreut gespeichert wie bisher. Wenn das bisherige Gesundheitsverwaltungssystem - wie Sie und andere ELGA-Befürworter behaupten - unsicher ist, dann wird die Unsicherheit durch die Einführung einer zentralen Index-Zwischenschicht nicht verkleinert sondern bloß vergrößert.


Sie behaupten
"Patientinnen und Patienten [hätten] nunmehr persönlich über Internet Zugriff auf ELGA oder werden dabei wenn gewünscht von den Ombudsstellen unterstützt"

Sie verschweigen, dass der vorgesehene Zugang ("Bürgerkarte) technisch sehr kompliziert und nicht ausgereift ist. Weiters darf ich daran erinnern, dass dem Bürger der Zugang zu staatlichen Einrichtungen nicht durch vermeidbare technische Beschränkungen und Hürden erschwert werden darf. Schon aus diesem Grund ist das ELGA-Gesetz verfassungswidrig.

Weiters ist das Argument zynisch, vom Schreibtisch aus lässt sich leicht dirigieren, was Menschen zu tun haben. Krank sein bedeutet jedoch zu leiden, Schmerzen zu haben, desorientiert zu sein. Es ist Kranken, insbesondere alten Menschen nicht zuzumuten genau dann, wenn sie Betreuung benötigen, die Belastung von ELGA-Überwachung, Arzt-Kontrolle und sonstiger Kontrolltätigkeit zu übertragen.

Zuletzt zu den Ombudsstellen, die - wie praktisch (sic!) - gleichzeitig die Landes-Patientenanwälte sind. Vielleicht verstehen Sie das nicht, aber es gibt Menschen, die an persönlicher Autonomie interessiert sind und sich nicht wegen allem und jedem in die Hände einer weiteren Bürokratie begeben wollen. Und warum diese Ombudsstellen technisch Zugriff auf alle Patientendaten haben, konnte mir auch noch niemand erklären.

Statt ein einfaches - technikunabhängiges - Informations- und Auskunftsrecht für die Patienten vorzusehen, werden zusätzliche technische Hürden geschaffen.


Sie behaupten
"Sie [die Patienten, Anm.] können Befunde aus- und einblenden, wenn sie sich eine unbefangene Zweitmeinung einholen wollen, sowie löschen oder überhaupt der Speicherung von Behandlungsfällen in ELGA widersprechen (z.B. Schwangerschaftsabbruch)."

Eine geradezu absurde Vorstellung. Erstens steht diese Idee im völligen Widerspruch zu den Aussagen praktisch aller anderen ELGA-Befürworter, die eben genau dieses Arztshopping, dieses ausufernde Beschaffen von Zweitbefunden reduzieren wollen.

Weiters wäre das Befund-Shopping auch rechtlich nicht zulässig. Sozialversicherte dürfen weder heute, noch in Zukunft nach Belieben Ärzte konsultieren und Befunde anfordern. Völlig unabhängig von ELGA wird das schon jetzt durch die Sozialversicherungsträger sehr wirksam verhindert.

Zum Zweiten enthält der Punkt eine gehörige Portion Zynismus. ELGA verlangt durch das undurchsichtige situative Widerspruchssystem, dass die Patienten medizinische Entscheidungen treffen und fachlich korrekt beurteilen, welcher Arzt was sehen darf. Auch dieser Punkt ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich, da er die Verantwortung für eine funktionierende Gesundheitsversorgung in letzter Konsequenz auf die Patienten abschiebt.

Wenn ELGA tatsächlich einen Beitrag zur Verbesserung der Behandlungssicherheit bieten soll (O-Ton Herr Bachinger), dann muss der Patient sicher sein, dass alle zu seiner Person relevanten medizinischen Daten vorhanden sind und alle anderen nicht. Der Patient entscheidet dann, welcher Arzt seines Vertrauens diese Daten sehen darf. Das erfordert ein echtes OptIn und nicht das bestehende - rechtswidrige - OptOut.


Sie behaupten
"Patientinnen und Patienten sehen anhand der Protokolldaten, wer auf ihre Daten zugegriffen hat und bei Missbrauch drohen auch noch saftige Strafen."

Entweder tätigen Sie diese Behauptung im naiven Glauben oder wider besseren Wissens. Es gibt kein vollständiges Protokollierungssystem, protokolliert wird nur, was in einem Protokollierprogramm vorgesehen ist. Weiters können Daten sehr wohl rechtmäßig abgerufen werden, jedoch davon Kopien in weiterer Folge rechtswidrig verwendet werden. Kein Protokollierungssystem kann das erkennen. Ganz zu schweigen vom Problem von Archiv- und Backupkopien unbemerkt Kopien abzuzweigen. Leider ist die österreichische Verwaltung voll von zahllosen derartigen Missbrauchsfällen, ich darf nur an die Spitzenreiter Justizministerium, Innenministerium und zuletzt Unterrichtsministerium hinweisen.

Genauso schwerwiegend ist jedoch auch, dass bei komplexen Behandlungen - etwa in einem Spital - hunderte Personen rechtmäßig zugreifen, der Patient in der Fülle dieser Zugriffe einzelne illegale Zugriffe gar nicht erkennen kann.

Sie verschweigen auch, dass die Protokollierung nur bei Zugriffen über das zentrale ELGA-Index-System erfolgt, nicht bei den lokalen Datenbeständen, dort wo tatsächlich die Gesundheitsdaten gespeichert sind, eine weitere Systemlücke.

Und zuletzt, verehrter Herr Abgeordneter, was hat ein Patient davon, nachträglich illegale Zugriffe feststellen zu können? Der Schaden ist erfolgt und kann bei Geheimnisbruch nicht durch Datenrückgabe - wie bei einem Diebstahl - ungeschehen gemacht werden.


Sie behaupten
"Für ELGA werden und das wissen Sie sehr geehrter Hr. Dr. Zeger ganz genau, höchste Sicherheitsstandards verwendet und mittels Verordnung vorgeschrieben."

Gebetsmühlenartig wird die "Sicherheit" von ELGA betont. Wenn es tatsächlich so wäre, dann müsste man es nicht ständig wiederholen. Kein Kunde fragt nach der (Betriebs)sicherheit seines Mobilfunknetzes, er setzt es als selbstverständlich voraus.

Sicherheit kann nicht herbeigeredet oder -gebetet werden, sondern ist eine Konzeptionssache. Alle vorliegenden Konzepte zu ELGA zeigen jedoch bloß eines, sie sind extrem kompliziert, intransparent, gehen von unzähligen optimistischen und unrealistischen Annahmen aus.

Ein System in dem hunderte Computersysteme, installiert und von völlig unterschiedlichen Einrichtungen betrieben, ein System in dem es keinen Letztverantwortlichen gibt, kann nicht sicher betrieben werden. Und das Chaos beim Patientenindex, der wochenlangen Wartezeit beim OptOut zeigen - leider - wie recht die Kritiker haben.


So könnte noch auf viele Ihrer Behauptungen eingegangen werden, diese Replik soll jedoch fürs Erste reichen.

Ich habe in den letzten 30 Jahren zahlreiche Technologieprojekte kommen und gehen gesehen. Das Gelingen oder Scheitern hatte im Detail unterschiedliche Ursachen, in den Grundzügen war das Muster jedoch sehr ähnlich.

Gescheitert sind alle Projekte, bei denen ein zu kompliziertes System ohne erkennbaren persönlichen Nutzen den Bürgern zwangsverordnet werden sollte. Ich verweise nur auf Zwentendorf, MUPID/BTX, zuletzt die Bürgerkarte oder Smart Meter, die "intelligenten" Stromzähler.

Erfolgreich waren Projekte, die den Bürgern praktischen Nutzen brachten. Diese Technologien wurden akzeptiert, rascher als es sich die Politik je träumte und ohne Zwang. Studieren Sie Geschichte! Lernen Sie aus der Erfolgsgeschichte von Internet, Mobiltelefonie und Co!

Österreich ist im Grunde eine sehr aufgeschlossene und technikfreundliche Gesellschaft. Unser Wohlstand - und auch Ihr Abgeordnetengehalt - stammt aus den zahllosen Industrieunternehmen, die technologisch Weltspitze sind und nicht von durchgeknallten Bürokraten mit nationalen Überwachungsfantasien.

Ich würde mir von den ELGA-Befürwortern wünschen, dass sie endlich auf die konkreten Bedenken der Kritiker einzugehen und sie ernst zu nehmen, anstatt die Kritiker pauschal zu diffamieren.

Es ist klar erkennbar, ELGA ist kein modernes Gesundheitsinformationssystem, es spiegelt bloß das zersplitterte, überteuerte und ineffiziente Gesundheitswesen Österreichs aktenmäßig wieder. ELGA ist intransparent, technisch zu kompliziert, zu störanfällig und letztlich zu teuer und ineffizient.

Ich lade Sie daher ein, endlich in den Dialog für ein ordentliches, modernes Gesundheitsinformationssystem einzutreten. Ein Gesundheitssystem, das auch auf die modernen Erkenntnisse individualisierter Therapien, von Telemedizin und Patienten-Enpowerment Rücksicht nimmt. Ein System, das den Ärzten hilft bei komplexen Behandlungen rasch Fragen beantwortet zu bekommen, das effiziente Suchmöglichkeiten enthält, statt die Ärzte zwingt unüberschaubare pdf-Aktenberge durchzuwühlen.

In diesem Sinn bin ich optimistisch, dass die Österreicher auch zum derzeitigen ELGA-System die richtige Antwort finden werden.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Dr. Hans G. Zeger

PS: Im Sinne der von Ihnen gewünschten Sachlichkeit behalte ich mir vor dieses Schreiben und Ihr Schreiben in geeigneter Weise zu veröffentlichen.


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